Gedenken in Solingen: Steinmeier sieht Versäumnisse

von Redaktion

Solingen – 30 Jahre nach dem rassistischen Brandanschlag von Solingen hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einen wachsamen und wehrhaften Staat gegen rechten Terror gefordert. „Als Bundespräsident kann ich nicht dazu schweigen, in welchem Klima diese Anschläge gediehen sind“, sagte Steinmeier bei einer Gedenkveranstaltung in Solingen.

„Unmittelbar nach dem Brandanschlag waren hier in Solingen alle Strickleitern ausverkauft“, erinnerte Steinmeier. „Die Menschen hatten Angst, sich im Notfall sonst nicht mehr aus dem oberen Stockwerk ihres Hauses retten zu können. In den Wohnungen standen damals Wassereimer bereit, um bei einem Feuer schnell löschen zu können. An den Klingelschildern und Briefkästen wurden alle fremd klingenden Namen abmontiert.“

Viel zu lange habe das Land der Behauptung von den verblendeten Einzeltätern aufgesessen, sagte Steinmeier. Die Strukturen und die Ideologie der Täter seien lange ignoriert worden. „Ich spreche von Rechtsextremismus. Von Rassismus. Von Menschenfeindlichkeit.“ Rechtsextreme und Rassisten entmenschlichten den Einzelnen und verbreiteten damit Angst und Schrecken. „Ich nenne das: Terror. Dieser rechte Terror ist verantwortlich für die Toten hier in Solingen. Diesen rechten Terror gab es vor Solingen, und es gibt ihn nach Solingen.“

Vor 30 Jahren, am 29. Mai 1993, starben fünf türkische Mädchen und Frauen, als Rechtsradikale das Wohnhaus der Familie Genç anzündeten: Saime Genç (4), Hülya Genç (9), Gülüstan Öztürk (12), Hatice Genç (18) und Gürsün Ince (27). Der Anschlag gilt als eines der schwersten rassistischen Verbrechen in der Geschichte der Bundesrepublik.

Kurz nach der Tat waren vier junge rechtsradikale Solinger im Alter zwischen 16 und 23 Jahren festgenommen worden. Sie waren der rechten Szene zuzuordnen und wurden 1995 wegen Mordes verurteilt.

„Auch 30 Jahre nach der grausamen Tat von Solingen sind wir noch immer fassungslos, zornig, traurig“, sagte Steinmeier. „Aber: Wir sind nicht eingeschüchtert, nicht hilflos, nicht tatenlos.“

An der Gedenkveranstaltung nahmen neben Bundes- und Landesministern, der Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) und dem Landtagspräsidenten André Kuper (CDU) auch die überlebenden Familienmitglieder und Angehörige der Todesopfer teil. Schließlich ergriff eine Enkelin von Mevlüde Genç am Ende der Veranstaltung das Wort: Ihre Großmutter habe Deutschland nach dem Anschlag nicht verlassen, sondern zu Liebe und Besonnenheit aufgerufen und bewusst die deutsche Staatsangehörigkeit beantragt, sagte Özlem Genç. „Der Hass bringt den Tod“, habe ihre Großmutter gesagt und so den triumphalen Sieg des Guten über das Böse verkörpert.

FRANK CHRISTIANSEN

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