Antakya – Ganis Kebap-Laden ist nicht nur ein Imbiss, er ist ein Bekenntnis zu seiner vom Erdbeben zerstörten Stadt. Auf dem Container, den Gani im südtürkischen Antakya errichtet hat, steht in großen Buchstaben: „Wir waren nie fort. Kebap-Laden“. Darunter zeigen Bilder den Fluss Orontes, der sich durch die Altstadt schlängelt, und historische Stätten, die Antakya einmal auszeichneten – eine Stadt, die es so nicht mehr gibt. Er wolle dennoch bleiben, sagt Gani. „Wie sollen die Menschen sonst wiederkommen?“
Am 6. Februar waren die Südosttürkei und Nordsyrien von zwei Beben der Stärken 7,7 und 7,6 erschüttert worden. Mehr als 50 000 Menschen kamen nach offiziellen Angaben allein in der Türkei ums Leben. Nicht nur die Türkische Ärztevereinigung zweifelt jedoch an dieser Zahl und schätzt, dass sie deutlich höher sei.
Mehr als 300 000 Häuser sind nach offiziellen Angaben nicht mehr bewohnbar, und Millionen Menschen wurden obdachlos. Der Sachschaden beträgt demnach mehr als 100 Milliarden US-Dollar. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will die elf betroffenen Provinzen schnell wieder aufbauen.
Das wird eine Mammutaufgabe. Noch immer sieht es in Teilen Antakyas aus, als wären die Beben vor sechs Wochen und nicht etwa vor sechs Monaten gewesen. Bagger graben sich in die Häuserruinen und heben Schutt beiseite. Plakate des Kulturministeriums markieren die Gebäude, die historischen Wert haben und restauriert werden sollen. Staub vernebelt die Stadt, legt sich auf die Blätter der Bäume, auf die Haut und dringt in die Nase.
Präsident Erdogan will innerhalb eines Jahres mehr als 300 000 Häuser bauen. Schon Ende des Jahres sollen die ersten Wohnungen an Eigentümer übergeben werden. Tatsächlich stampft die Regierung im Rekordtempo Neubauprojekte aus dem Boden. Rund 15 Kilometer vom Zentrum Antakyas entfernt entsteht eine Siedlung – oder vielmehr eine neue Stadt, wie einer der Verantwortlichen sagt, der namentlich nicht genannt werden will.
Nach Angaben der Malteser stehen in Syrien und in der Türkei noch immer Millionen Menschen vor dem Nichts. „Das Ausmaß der Zerstörung ist nach wie vor unfassbar“, erklärte der Leiter der Nahostabteilung von Malteser International, Thomas Weiss.
Die Ärztekammer in der Region warnt unterdessen vor gesundheitlichen Langzeitschäden. Vor allem Frauen und Kleinkinder seien gefährdet, sagte Selahattin Mentes, Chef der Ärztekammer im südtürkischen Adana, der Deutschen Presse-Agentur. Es mangele an ausgewogener Ernährung, was bei Kindern zu Entwicklungsstörungen führen könne. Schwangere seien ebenso gefährdet. „In der Region wurde bereits eine große Anzahl von Früh- und Fehlgeburten festgestellt“, fügte er hinzu. Schwierige Operationen müssten in der Großstadt Adana vorgenommen werden. Die Krankenhäuser dort seien bereits überlastet.
Die Ärzte in der türkischen Region stellten zudem eine Zunahme von Depressionen mit entsprechenden Folgen fest. „Es gibt sehr viele Todesfälle, die Menschen haben alles verloren und das verbleibende Leben hat ihnen wenig zu bieten“, sagte Mentes.
Er warf den Behörden zudem vor, Schutt eingestürzter Gebäude unkontrolliert abgeladen zu haben. Man wisse nicht, ob darin Giftstoffe wie Asbest enthalten seien und ob diese ins Grundwasser sickern könnten. Diese Unwissenheit sei ein großes Problem: „Wir wissen nicht, wie hoch die Rate an Lungenkrebs in fünf oder zehn Jahren sein wird, genauso wie wir noch nicht wissen, wie sich die schlechte Ernährung auf die Entwicklung der Kinder auswirken wird.“