Die Generation Pause

von Redaktion

Mehr als eine halbe Million junger Leute in Deutschland tun laut offizieller Statistik: gar nichts

Berlin – Elisa hatte das Abitur in der Tasche und machte erst mal: Pause. Die junge Berlinerin jobbte im Café und buchte dann mit einer Freundin ein Ticket nach Chile. Ein paar Monate später schaute sie sich mit einem Interrail-Ticket Europa an. Zwischendurch wieder Jobs. So vergingen zwei Jahre. „Man genießt, dass man nicht den Alltag und den Druck hat“, sagt die junge Frau. „Dann schaut man mal so, lässt sich treiben, wenn man die Möglichkeit hat.“

Damit dürfte Elisa in eine Kategorie fallen, um die es gerade Wirbel gibt: NEETs. Das ist ein Kunstwort von Statistikern für junge Leute, die nicht mehr in der Schule sind, aber auch nicht in Beschäftigung oder Ausbildung – „Not in Education, Employment or Training“. Von „jungen Nichtstuern“ sprach dieser Tage ein Online-Portal und gleich auch großflächig von einer „Generation NEETs“.

564 000 solcher jungen Leute zwischen 15 und 24 Jahren erfasste die europäische Statistikbehörde Eurostat 2022 für Deutschland. Und das, wo Unternehmen gleichzeitig zehntausende Lehrstellen und Arbeitsplätze nicht besetzen können. Wie passt das zusammen?

„Das Problem bei der Konstruktion NEETs ist, dass sie eine ausgesprochen heterogene Gruppe von Personen umfasst“, sagt Bildungsexperte Clemens Wieland von der Bertelsmann Stiftung. Da gibt es junge Leute, die demotiviert durchhängen. Da sind Schulabgänger ohne Abschluss, mit Sprachschwierigkeiten oder sonstigen Problemen, die den Zugang zu Ausbildung oder Arbeit erschweren. Und da sind junge Leute wie Elisa, die nach einer sehr gedrängten Schulkarriere einen Moment innehalten, um ihren Platz auf der Welt zu finden.

Elisa war 17, als sie 2021 die Schule abschloss. „Es gibt einfach viele Leute, die gar nicht wissen, was sie machen wollen“, erzählt die junge Frau. „Nur in ein Studium zu gehen, obwohl man gar nicht weiß, woran man Interesse hat, womit man sich beschäftigen will – dann kann man es auch gleich lassen.“

Es ist nicht so, dass sie in den vergangenen zwei Jahren gar nichts getan hätte. Die Jobs in der Gastronomie brachten ihr bei, wie es ist, acht Stunden zu arbeiten, wie man mit Kollegen auskommt. Zwischendurch half sie ehrenamtlich bei der Berliner Kältehilfe. Vor allem brauchte sie aber, so klingt das durch, die Zeit, sich zu sortieren und einen Beruf zu finden, der sie begeistert. Ab Herbst will Elisa Fotografie studieren.

Dass das etwas länger gedauert hat, hängt aus ihrer Sicht mit der Corona-Pandemie zusammen. „Eigentlich waren alle damit überfordert“, sagt Elisa. Für den Schulstress gab es keinen Ausgleich mehr, keine Partys, keine Kursfahrten, „nichts, auf das man sich freuen konnte“. Das Luftholen nach dem Abi schien umso nötiger. Hätte sofort das Studium begonnen, wären das wieder Online-Kurse gewesen, wieder in Isolation am heimischen Küchentisch. „Es war nicht so viel möglich.“

Die Eurostat-Statistik belegt die Besonderheiten der Pandemie-Jahre. Der Anteil der NEETs in der Altersgruppe von 15 bis 24 in Deutschland stieg von 5,7 Prozent im Jahr 2019 auf 7,4 Prozent 2020 und 7,8 Prozent 2021. Dann ging es 2022 wieder abwärts auf 6,8 Prozent. Oder in absoluten Zahlen: von 648 000 im Jahr 2021 auf 564 000. Es wird also nicht „immer schlimmer“, jedenfalls nicht nach dieser Statistik.

Elisa jedenfalls wehrt sich gegen Vorwürfe, dass sie nicht sofort ins Berufsleben gesprungen ist. „Das ist schon ein dreister Anspruch an unsere Generation“, sagt die Berlinerin. „Wir hatten drei Jahre Corona-Pandemie. In Solidarität mit Älteren haben wir unsere gesamte Entwicklung zurückgestellt. Wir erben den Klimawandel und so viele Krisen. Da muss man uns nicht vorwerfen, dass wir nicht mit 17 anfangen, beruflich tätig zu werden.“ Es sei auch gesellschaftlich wichtig, etwas Sinnvolles zu tun. Das sei einfach produktiver. „Und deshalb kann man vielleicht auch mal länger als einen Sommer überlegen: Was will ich mit meinem Leben anfangen?“ V.SCHMITT-ROSCHMANN

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