Das Ende der Krawatten-Zeit

von Redaktion

70 Prozent weniger Umsatz

Berlin – Jahrhundertelang war sie ein beliebtes modisches Accessoire und Statussymbol. Doch inzwischen scheint die Krawatte nach und nach aus den Kleiderschränken zu verschwinden. Politik und Finanzwelt haben sich vielfach bereits von ihr verabschiedet. Der moderne Mann tritt lieber lässig auf: offenes Hemd und Jeans statt Anzug und Krawatte. War es das etwa?

Die Idee, sich ein Stück Stoff kunstvoll um den Hals zu binden, ist über 2000 Jahre alt. Schon chinesische Soldaten im 3. Jahrhundert vor Christus trugen eine Art Schlips. Auch römische Soldaten schützten mit einem Tuch ihren Hals: nicht nur vor der Kälte, sondern auch vor den scharfen Kanten ihrer Rüstung. Diese Mode ging jedoch im Mittelalter weitgehend verloren. Nur in einem Land nicht: Kroatien.

Der deutsche Ausdruck „Krawatte“ stammt vom französischen Wort „Cravate“ ab, einem alten Ausdruck für „Kroate“. Während des Dreißigjährigen Krieges trugen kroatische Reiterverbände Halstücher. Ihre französischen Kameraden übernahmen diese Mode und benannten das Kleidungsstück nach den Kroaten.

Und heute? Die Krawatte sei lange der einzige Spielraum gewesen, der Männern in ihrem streng reglementierten Business-Dresscode zugestanden wurde, sagt Carl Tillessen vom Deutschen Mode-Institut (DMI). „Hier konnte .Mann‘ sein privates Ich aufblitzen lassen und Geschmack, Mut, Stil und Raffinesse beweisen.“

Aber das war einmal. Der französische Modedesigner Hedi Slimane habe der Krawatte in den Nullerjahren zu einem Comeback verholfen – und ihr gleichzeitig einen Todesstoß versetzt, sagt DMI-Chefanalyst Tillessen. „Indem er schwarze Uni-Krawatten populär gemacht hat, hat er die Krawatte einerseits cool gemacht und andererseits ihres Charmes beraubt.“

Bewegte Geschichte hin oder her, die Krawatte ist längst kein Muss mehr. Früher undenkbar: Mittlerweile sieht man sogar in Nachrichtensendungen Männer oben ohne, also ohne Schlips. Zumindest für den früheren „Tagesthemen“-Moderator Ulrich Wickert ist das noch ein No-Go: „Mit einer Krawatte verbinde ich den Respekt, den ich meinem Gegenüber zeige“, sagt der 80-Jährige. Er habe in einem sehr heißen Sommer die Tagesthemen auch mal ohne Jacke moderiert, aber nie ohne Krawatte. „Das verbat mir der Respekt gegenüber den Zuschauern.“

Wickert wurde vom DMI vor einigen Jahren zum Krawattenmann des Jahres ernannt. Wie auch Ex-Box-Weltmeister Henry Maske (59), für den die Krawatte unverändert Bedeutung hat: „Erspähe ich eine in meinen Augen ansprechende Krawatte, kaufe ich sie“, sagt er. „Den Anlass, sie zu tragen, den gibt es jederzeit.“ Modedesigner und „Shopping Queen“-Juror Guido Maria Kretschmer (58) sieht die Krawatte als Ausnahmeartikel, als „das letzte Relikt aus einer völlig anderen Zeit“. Er selbst habe viele Krawatten im Schrank. „Mittlerweile trage ich sie kaum noch, was eigentlich schade ist, und ich hoffe, dass sie nie ganz verloren geht.“ Einer der wohl bekanntesten Krawattenträger des Landes ist Moderator Günther Jauch (67). Doch außer für seine Sendung „Wer wird Millionär“ trage er kaum noch Krawatte, sagt er. „Ich halte Krawatten inzwischen im Prinzip für entbehrlich.“

Von Hugo Boss heißt es, die Produktion von Krawatten sei vor allem in den vergangenen fünf Jahren zurückgegangen. Das Modehaus C&A verzeichnete mit Blick auf Krawatten und Fliegen seit 2011 einen Umsatzrückgang von etwa 70 Prozent. K. GENIUS

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