Bern – Reisezeit ist Stauzeit! Geduld muss man derzeit nicht nur auf Europas Autobahnen aufbringen. Auch auf den Schienen kommt es zu Verzögerungen. Jetzt sorgt ein entgleister Güterzug im Schweizer Gotthard-Basistunnel für ein weiteres Nadelöhr im internationalen Bahnverkehr.
Die 57 Kilometer lange Doppelröhre verbindet die deutschsprachige Schweiz mit dem italienischsprachigen Kanton Tessin und ist Teil einer Nord-Süd-Achse von Deutschland nach Italien. In der vergangenen Woche war im Tunnel ein Güterzug mit 30 Waggons entgleist. Als mögliche Unfallursache gilt ein technischer Defekt am Zug. Schweizer Medien berichten in diesem Zusammenhang von einem defekten Rad. Verletzt wurde glücklicherweise niemand. Allerdings gaben die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) schon kurz nach dem Unfall bekannt, dass die Gleisanlage und ein Sicherheitstor im längsten Bahntunnel der Welt schwer beschädigt seien. Von einer mehrtägigen Sperre war schnell die Rede. Der SBB-Infrastrukturmanager Rudolf Büchi merkte zudem an, dass der Zwischenfall zu „einem schlechten Zeitpunkt“ gekommen sei.
Nach der Freigabe des Tunnels durch die zuständigen Ermittlungsbehörden sind die Aufräumarbeiten in vollem Gange. Noch immer liegen 16 entgleiste und teils schwer beschädigte Waggons des verunglückten Zuges im Tunnel. Und es wird klar, dass die Reparaturarbeiten im Gotthard-Basistunnel mehrere Monate in Anspruch nehmen werden. Es habe sich gezeigt, dass insgesamt rund acht Kilometer Gleise und 20 000 Schwellen ersetzt werden müssen. Die Schäden sind größer als angenommen, wie die SBB in Bern mitteilten. Während der Güterverkehr bereits am 23. August wieder rollen soll, wird der Personenverkehr noch für längere Zeit über die sogenannte Panoramastrecke umgeleitet. Die SBB gehen davon aus, dass beide Tunnelröhren erst ab Anfang 2024 zur Verfügung stehen. Bis dahin müssen Reisende ein bis zwei Stunden zusätzliche Fahrtzeit in Kauf nehmen. SBB-Vorstandschef Vincent Ducrot bedauerte jedoch den großen Sachschaden und die Unannehmlichkeiten für die Reisenden. „Der Gotthard-Basistunnel gehört zu den sichersten der Welt. Dass trotzdem ein solcher Unfall geschehen konnte, trifft uns sehr“, sagte er. Hintergrund für die lange Sperre seien fehlende Evakuierungsmöglichkeiten. Sollte es Alternativen zum bisherigen Konzept mit der Evakuierungsroute über die zweite Röhre geben, könne man bereits früher – also vor der Instandsetzung des zweiten Gleises – den Personenverkehr wieder aufnehmen“, zitierte das Schweizer Fernsehen (SRF) dazu Rudolf Büchi, den stellvertretenden Leiter Infrastruktur bei den SBB.
Verschärft wird die Lage im Reiseverkehr durch die Tatsache, dass seit 6. August eine Komplettsperre der Brenner-bahnstrecke vorliegt und diese somit als mögliche Ausweichroute nicht infrage kommt. Noch bis zum 23. August werden auf der Route unter anderem in den Eisenbahntunneln umfassende Arbeiten vorgenommen. Bereits im Vorfeld hatte die ÖBB erklärt, dass es keine Alternative zur Komplettsperre gebe. Betroffen sind Nah-, Regional-, Fern- und Güterverkehr zwischen Innsbruck und dem Bahnhof Brenner. Pro Tag werden in diesem Zeitraum 71 Nahverkehrszüge und zehn Eurocity-Züge im Schienenersatzverkehr geführt. Der Railjet zwischen Innsbruck und Bozen fällt aus.
Einschränkungen in Form von Verspätungen und Fahrplanänderungen gab es nach dem Brand eines Bauzuges zwischen Übersee und Traunstein am vergangenen Wochenende auch auf den Schienen im Deutschen Eck. Weil bei dem Unfall 3000 Liter Dieselkraftstoffe ausgelaufen waren, musste unter anderem Erdreich abgetragen werden. Die Behinderungen sollten noch bis zu diesem Samstag andauern. sas