Rom/Neapel – Nach vielen Jahren ist Neapel wieder in das Zentrum der Aufmerksamkeit von Italiens Politik geraten. Vergangene Woche verabschiedete die Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ein Gesetzesdekret zur Jugendkriminalität, das durch den Fall einer angeblichen Gruppenvergewaltigung Anfang Juli im Vorort Caivano bei Neapel ausgelöst wurde.
Zwei Mädchen im Alter von zehn und zwölf Jahren sollen damals von mehreren minderjährigen Tätern vergewaltigt worden sein. Meloni besuchte daraufhin Ende August Caivano, das in italienischen Medien als „Europas größter Umschlagplatz für Drogen“ bezeichnet wird. Das Dekret, das noch vom italienischen Parlament bestätigt werden muss, hat einerseits jugendliche Straftäter im Visier, andererseits aber auch Eltern, die die Erziehung ihrer Kinder vernachlässigen. So ist es von nun an möglich, Jugendliche ab einem Alter von 14 Jahren, die beim Drogenhandel ertappt oder gewalttätig werden, sofort festzunehmen. Die Polizei ist nun auch befähigt, Jugendliche ab einem Alter von 14 Jahren mit Aufenthaltsverboten für bestimmte Orte zu belegen. Erziehungsberechtigte müssen fortan mit Geldbußen von bis zu 1000 Euro rechnen, wenn ihre zwölf bis 14-jährigen Kinder Straftaten begehen.
Die Strafmündigkeit in Italien liegt bei 14 Jahren. Zur Debatte stand offenbar auch, die Strafmündigkeit von 14 auf zwölf Jahre herunterzu- setzen, die Regierung entschied sich aber gegen das Herabsetzen der Altersgrenze. „Das wäre gegen jede Vernunft und Ethik gewesen“, sagte Justizminister Carlo Nordio. Stattdessen soll künftig hart gegen Eltern vorgegangen werden, die ihre Kinder nicht in die Schule schicken. Erziehungsberechtigte, die ihre Kinder nie in einer Schule angemeldet haben, müssen mit bis zu zwei Jahren Haft rechnen. „Dieses Phänomen betrifft immer mehr Mädchen aus islamischen Familien“, sagte Meloni. Nicht vorbestrafte Eltern sollen nicht in Haft kommen. In Neapel gibt es rund 2300 Kinder, die regelmäßig nicht zur Schule gehen. Bislang mussten die Erziehungsberechtigten in diesen Fällen mit einem Bußgeld von nur 30 Euro rechnen. Don Maurizio Patriciello, ein im Kampf gegen die Camorra aktiver Priester, lud Ministerpräsidentin Meloni zu einem Besuch in den Vorort Neapels ein. Meloni versprach Soforthilfen und die Renovierung des heruntergekommenen und zum Drogenumschlagplatz verwandelten örtlichen Schwimmbads. Die Regierung stellte nun 30 Millionen Euro bereit, über deren Verwendung ein Kommissar bestimmen soll. 15 zusätzliche Polizisten sollen eingestellt werden. „Es gibt Kinder in Caivano, die auf dem Schulweg an fünf Drogenumschlagplätzen vorbeilaufen müssen“, sagte Don Patriciello. Die Vorgänge in Caivano hatten ein Schlaglicht auf die Lebensbedingungen in den Peripherien einiger italienischer Großstädte geworfen. Viele Jugendliche sind dort ohne Perspektive und gleiten in die Kriminalität ab. Allein in Neapel haben rund 5000 Minderjährige bereits mit der Justiz zu tun gehabt, 28 von ihnen wegen Tötungsdelikten, 80 wegen versuchten Mordes. Ende August erschoss ein 17-Jähriger einen 24-Jährigen nach einem Streit um einen Parkplatz.
Die Camorra duldet die Aktivitäten der sogenannten Baby-Gangs und rekrutiert daraus ihren Nachwuchs. Die Polizei ist oft hilflos, weil sich straffällig gewordene Jugendliche teils sogar mit ihrer Strafunmündigkeit brüsteten. JULIUS MÜLLER-MEININGEN