Rabat – In den schwer zugänglichen Erdbebengebieten in Marokko läuft die Suche nach hunderten von Vermissten auf Hochtouren. Während die Menschen die dritte Nacht in Folge aus Angst vor weiteren Nachbeben in den Straßen von Marrakesch und anderen Orten verbrachten, versuchten Soldaten mit Unterstützung ausländischer Hilfsteams in entlegene Bergdörfer vorzudringen. Mit Bulldozern müssen in dem zerklüfteten Gelände Straßen von Erdrutschen befreit werden, damit Krankenwagen durchkommen. Überlebende schilderten, dass aus den Trümmern der Häuser Leichengeruch ströme. Die Zahl der Todesopfer ist gestern auf 2862 angestiegen.
Inmitten dieser dramatischen Lage mehrt sich die Verwunderung darüber, dass Marokko nur sehr ausgewählt ausländische Hilfe annimmt. Viele Länder, darunter auch Deutschland, haben nach dem Erdbeben Unterstützung angeboten. Doch die Regierung lässt nur Such- und Rettungsteams aus Spanien, Großbritannien, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten ins Land. Rettungskräfte des Technischen Hilfswerks (THW) waren zwar am Samstagabend bereits am Flughafen Köln-Bonn mobilisiert worden – kehrten allerdings wieder an ihren Standort zurück, nachdem kein internationales Hilfeersuchen aus Marokko eingegangen war.
Doch warum verzichtet die Regierung unter König Mohammed VI. auf internationale Hilfe? Das marokkanische Innenministerium hatte sich zwar bei allen Ländern bedankt, die ihre Hilfe angeboten hatten, dabei aber betont, dass es zunächst den „Bedarf vor Ort“ bewerten und eine „gute Koordination“ sicherstellen wolle. Marokko werde auf Hilfsangebote zurückkommen, „wenn sich der Bedarf ändern sollte“, fügte das Innenministerium hinzu.
Auffällig ist, dass Spanien das einzige EU-Land ist, das bisher helfen darf. Nun wird spekuliert, ob Verstimmungen zwischen Marokko und der EU vom Anfang des Jahres dahinterstecken könnten. Im Januar hatte das Europäische Parlament eine Resolution verabschiedet, in der die „kontinuierliche Verschlechterung“ der Pressefreiheit in Marokko beklagt wurde. Marokko wurde darin aufgefordert, „das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Medienfreiheit zu achten“ und inhaftierten Journalisten ein faires Verfahren zu gewähren. In Marokko ist Kritik am König untersagt und Majestätsbeleidigung eine Straftat, für die Leute eingesperrt werden. Einzig Spanien hatte sich der Resolution nicht angeschlossen.
Eine andere Erklärung hat Christoph Johnen vom Roten Kreuz in der „SZ“ gegeben. „Viele Länder haben schlechte Erfahrungen mit internationaler Hilfe gemacht“, sagte er und führte aus, dass diese auch eine Last sei. Manche Länder würden Güter schicken, die nicht benötigt würden. Unabhängig von der bisher nicht angeforderten Hilfe hat die EU eine Million Euro für humanitäre Hilfe bereitgestellt. Zudem steht die EU-Kommission mit den Mitgliedsländern in Kontakt, um Einsatzteams zu mobilisieren, falls Marokko darum bittet.
Regierungssprecher Steffen Hebestreit wollte sich nicht zu den Gründen für das Zögern der marokkanischen Regierung äußern: „Darüber lohnt es sich von unserer Seite aus nicht zu spekulieren“, sagte er – und fügte hinzu: „Wir stehen zu diesen Hilfsangeboten.“ Ein Sprecher des Auswärtigen Amts sagte: „Politische Gründe kann man hier ausschließen.“ Möglicherweise gebe es organisatorische oder logistische Gründe auf marokkanischer Seite. „Ich bin sicher, dass man sich sehr genau Gedanken gemacht hat, welche Einsatzkräfte man wo einsetzen kann.“ Der Stand der diplomatischen Beziehungen zu Marokko sei „gut“. mit dpa/afp