Libyen: 10 000 Vermisste nach Unwetter

von Redaktion

DWD-Experte im Interview: Starkniederschläge werden im Sommer zunehmen

Bengasi – Erst Griechenland, Spanien, Norwegen, Slowenien, Österreich – jetzt Libyen. Nach dem verheerenden Unwetter wird das Ausmaß der Zerstörung langsam sichtbar. Während Retter und Angehörige nach Überlebenden suchen, gelten nach Angaben des Roten Kreuzes inzwischen rund 10 000 Menschen als vermisst. Ein Sprechers des Innenministeriums einer der beiden rivalisierenden Regierungen erklärte, rund 5200 Menschen seien in den Tod gerissen worden. Der Sturm „Daniel“, der schon in Griechenland schwere Zerstörungen hinterlassen hatte, erfasste das nordafrikanische Land mit rund sieben Millionen Einwohnern am Sonntag.

Besonders schwer von „Daniel“ betroffen ist die Hafenstadt Darna. Videos und Fotos zeigten ein katastrophales Ausmaß der Zerstörung der Küstenstadt: zerstörte Häuser und Autos in von Schlammmassen überschwemmten Straßen. Wir sprachen mit dem Diplom-Meteorologen Dr. Andreas Walter vom Deutschen Wetterdienst über die starken Überflutungen der letzten Wochen:

Die Anzahl der Extremwetterereignisse mit starken Überflutungen hat gefühlt extrem zugenommen. Ist das wirklich so – oder ist die mediale Aufmerksamkeit größer?

Teils, teils. da muss man ein bisschen unterscheiden. Zum einen ist ja die Tendenz, dass der Mittelmeerraum trockener wird. Zum anderen haben wir jetzt aber die extremen Niederschläge in den letzten Tagen erlebt. Die haben aber im Wesentlichen an der Großwetterlage gelegen: Wir hatten ja hier dieses Hochdruckgebiet über uns, das von verstärkten Tiefdruckgebieten flankiert wurde. Man nennt das Omega-Lage. Diese Tiefdruckgebiete haben zum einen zu den starken Niederschlägen in Spanien geführt und zum anderen an der östlichen Flanke zu den Extremniederschlägen in Griechenland und jetzt auch in Libyen.

Hat man das früher alles vielleicht einfach gar nicht immer so mitbekommen?

Das mag sein. Ich kann da jetzt nur spekulieren, aber natürlich ist es schon so, dass mit den neuen Medien die Wetterereignisse präsenter sind. Das gilt zum Beispiel auch bei Tornados, die jetzt viel häufiger von Menschen gefilmt werden. Das vereinfacht die Feststellung von solchen Extremsituationen schon ungemein.

Spanien, Griechenland und Libyen hatten also eine gemeinsame Ursache. Wie war es mit Slowenien, Österreich und Norwegen?

Ich vermute, Slowenien, war der sogenannte Onset – also der Beginn – dieser Großwetterlage. Zu Österreich und Norwegen kann ich jetzt nichts sagen.

Welche Rolle spielen Klima- und Meereserwärmung?

Die spielen natürlich eine Rolle. Dazu muss man aber wissen, dass die Meeresoberflächentemperaturen im Mittelmeer im September für gewöhnlich ihre höchsten Werte erreichen. Dieses Jahr lagen die Temperaturen aber um zwei bis vier Grad über dem Durchschnittswert. Wenn die Gewässer dann entsprechend warm sind, dann verdunstet auch mehr. Das heißt: Wir haben mehr Feuchte in der Atmosphäre und mit entsprechenden Winden, wie jetzt in Griechenland, werden die feuchten Luftmassen in die Mittelgebirgsregionen transportiert und haben das Potenzial zu entsprechenden Starkniederschlägen.

Macht sich da auch El Niño bemerkbar?

Das ist schwer einzuordnen. Es gibt Mechanismen von El Niño, die Einfluss auf das Wetter in Mitteleuropa haben. Das sind sehr komplexe Mechanismen, die da wirken. Dass man aber jetzt einen direkten Bezug von El Niño auf diese Starkregenereignisse herstellen kann, das ist nicht der Fall.

Wie ist Ihre Prognose für die Zukunft, was solche Extremniederschläge angeht?

Wir sind ja der Deutsche Wetterdienst und konzentrieren uns erst mal auf Deutschland (lacht), haben aber auch das Weltzentrum für Niederschlagsklimatologie bei uns im Haus, das Daten über das globale Niederschlagsgeschehen sammelt. Klimaprojektionen, also Modelle, die in die Zukunft blicken sollen, legen schon den Schluss nahe, dass es in Zukunft vor allem im Sommer vermehrt zu Starkniederschlagsereignissen kommen kann. Gleichzeitig werden die trockenen Perioden zunehmen. Das heißt, wir haben also immer längere Trockenperioden im Sommer, die dann unterbrochen werden von Starkniederschlagsereignissen. Das sind die Prognosen, die man aus den Klimamodellen ableiten kann.

Interview: Claudia Muschiol

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