Tödliche Bandengewalt schockt Schweden

von Redaktion

Eine Racheaktion jagt die nächste – Immer mehr Jugendliche sind Täter und Opfer

Stockholm – Die Lage in Schweden ähnelt derzeit eher einem Krimi von Stieg Larsson als einer friedlichen Erzählung von Astrid Lindgren. Das Bild vom viel beschriebenen Bullerbü-Idyll des Landes hat durch die immer wieder eskalierende Gewalt unter kriminellen Gangs arge Risse erhalten. Sieben Menschen wurden jüngst innerhalb von nur zehn Tagen rund um die Hauptstadt Stockholm erschossen, am Donnerstagabend wurden außerdem zwei Männer in einem Pub in der Kleinstadt Sandviken, gut 160 Kilometer weiter nördlich, getötet. Im Durchschnitt einmal pro Tag fallen irgendwo im Land Schüsse. Immer wieder sind Minderjährige beteiligt. Wie konnte es so weit kommen?

Seit mehreren Jahren schon hat das skandinavische EU-Land mit Bandenkriminalität zu kämpfen. Doch inzwischen wurde eine neue Stufe der Gewalt erreicht, die das ganze Land schockiert. Dutzende Gangs liefern sich Konflikte, laut der Regierung sind momentan rund 30 000 Menschen Mitglieder dieser Banden. Dabei geht es in erster Linie um das große Geld, das im lukrativen Drogengeschäft zu holen ist.

Schweden ist nach Angaben des schwedischen Zolls längst zu einem Transitland für Kokain aus Lateinamerika auf dem Weg nach Europa geworden.

All das führt zu Gewalt, die sich immer wieder in Schüssen und vorsätzlich herbeigeführten Explosionen äußert: In den ersten 258 Tagen des Jahres 2023, also bis Mitte September, gab es laut offizieller Polizei-Statistik mehr als 260 Schusswaffenvorfälle mit 34 Toten und 71 Verletzten. Hinzu kamen mehr als 120 Explosionen, bei denen jedoch generell weitaus seltener Menschen zu Schaden kommen. Diese Taten sind vielmehr dazu gedacht, Rivalen einzuschüchtern.

Manchmal geraten auch Unbeteiligte wie die zwölfjährige Adriana in die Schusslinien – das Mädchen war 2020 beim Gassigehen erschossen worden.

Zum Pulverfass hat sich gerade die Region um Stockholm und die Universitätsstadt Uppsala entwickelt. Hier wurden zwischen dem 7. und 16. September gleich sieben Menschen erschossen, darunter ein 13-jähriger Junge namens Milo. Die Staatsanwaltschaft bestätigte am Donnerstag, dass Milo in den Kopf geschossen worden sei und der Mord eine Verbindung zur Bandengewalt habe. „Derzeit befinden sich die kriminellen Netzwerke in einer sehr gewaltsamen, eskalierenden Phase“, sagt der Kriminologe Christoffer Carlsson von der Universität von Stockholm. Die Gangs seien dazu übergegangen, auch Angehörige von Bandenmitgliedern anzugreifen: „Wenn es schwierig ist, an die Mitglieder ranzukommen, dann werden sie über Verwandte angegriffen.“

Eine Racheaktion jagt die nächste, und zunehmend werden Minderjährige in die Gewalt hineingezogen, manche davon 14 Jahre und jünger und häufig mit Migrationshintergrund.

Angelockt werden die Jugendlichen von den Gangs mit teurer Kleidung, Geld und einem Gefühl von Gemeinschaft – und nicht ohne Hintergedanken: Sie werden oft für die grobe Arbeit eingesetzt, und gemäß dem Jugendstrafrecht in Schweden drohen ihnen bei Verurteilungen deutlich geringere Haftstrafen als Erwachsenen – damit sind sie für die Banden schon nach wenigen Jahren wieder einsetzbar.

Wie all das endet, ist unklar. Pläne, wie die Rekrutierung von Minderjährigen gestoppt werden soll, hat die Regierung bislang nicht präsentieren können. Präventionsmaßnahmen bereits bei jüngeren Kindern in Problembezirken und größere Kraftanstrengungen bei der Integration stehen im Raum. Justizminister Gunnar Strömmer kann sich auch separate Jugendgefängnisse selbst für 13- oder 14-Jährige vorstellen. Kriminologe Carlsson rechnet damit, dass es 10, 15 Jahre dauern dürfte, die Schusswaffengewalt in den Griff zu bekommen – wenn man heute damit beginnt.

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