Venedig – Der Ausflug war fast schon vorbei: Ein Tag in Venedig, dann mit dem Bus aus der Lagunenstadt zurück aufs italienische Festland. Auf einen Campingplatz im Stadtteil Marghera, wo die Übernachtung deutlich weniger kostet als in der Nähe von Markusplatz oder Rialtobrücke. Keine Viertelstunde Fahrt normalerweise. Doch dann, nur drei Kilometer vor dem Ziel, die Katastrophe: Aus ungeklärter Ursache kommt der Bus mit knapp 40 Tagestouristen am Dienstagabend von der höher gelegenen Fahrbahn ab und stürzt 15 Meter in die Tiefe. Die Bilanz: mindestens 21 Tote, 15 Verletzte. Es sollen auch drei Deutsche ums Leben gekommen sein, wie die Agentur Ansa unter Berufung auf die zuständige Präfektur meldete.
Wie inzwischen so oft in solchen Momenten machen Handyvideos schnell die Runde. Es sind Bilder des Grauens: Ein Blick von der Brücke hinunter. Von den verrosteten Leitplanken ist nicht mehr viel übrig. Im Scheinwerferlicht der fast völlig ausgebrannte Bus. Nur notdürftig bedeckte Leichen. Dazwischen der Patriarch von Venedig, Bischof Francesco Moraglia, der einsam stehend noch in der Nacht die Toten segnet. In den Worten des Bürgermeisters Luigi Brugnaro: „Eine Apokalypse“.
Am Tag danach waren noch viele Fragen offen. Die Identifizierung der Todesopfer gestaltete sich schwierig und langwierig. Zunächst konnten nur von sieben der 21 Todesopfer die Identität zweifelsfrei festgestellt werden. Der Staatsanwalt von Venedig, Bruno Cherchi, sagte dem Fernsehsender RaiNews24, man wolle deshalb DNA-Tests durchführen. Möglicherweise gelang den Behörden so der Durchbruch, so dass am Abend die genauen Nationalitäten genannt werden konnten.
Neben den drei Deutschen starben nach Angaben der zuständigen Präfektur neun Ukrainer, vier Rumänen, zwei Portugiesen, ein Kroate, ein Südafrikaner sowie ein Italiener, der den Bus gefahren hatte. Bis zum Abend konnten zudem 13 der 15 Verletzten identifiziert werden. Auch unter ihnen sollen Deutsche sein – vorläufigen Zahlen der Präfektur zufolge vier. Die anderen kommen aus der Ukraine, aus Spanien, Frankreich und Kroatien.
Unter den Toten ist auch der Fahrer des Busses, ein 40 Jahre alter Italiener. Weil unklar ist, warum der Bus kurz nach Einbruch der Dunkelheit gegen 19.45 Uhr so plötzlich von der Brücke stürzte, gilt ihm nun das besondere Interesse. Nach Angaben von Kollegen war er ein zuverlässiger Mann mit vielen Jahren Erfahrung. Außerdem hatte der Mann erst 90 Minuten vor dem Unglück seinen Dienst angetreten. Der Bus gehört einem Unternehmen namens La Linea Spa und wurde von einem Campingplatz in Marghera gechartert.
Spekuliert wird, dass der Fahrer wegen eines Schwächeanfalls die Kontrolle verloren haben könnte – oder dass er eingeschlafen ist. Die Staatsanwaltschaft leitete noch in der Nacht Ermittlungen ein. Auch andere Möglichkeiten werden nicht ausgeschlossen. Aufschluss erhofften sich die Ermittler zunächst von einer Kamera, die an dieser Stelle den Verkehr auf der Rizzardi-Brücke im Blick hat. Auf dem Video ist die entscheidende Szene jedoch durch einen anderen Bus verdeckt.
Der Geschäftsführer des Busunternehmens, Massimo Fiorese, sagte im TV-Sender Rai: „Was wir wissen, ist, dass es eine feste Kamera auf der Brücke gibt. Aus dem, was ich auf den Bildern gesehen habe, sieht man den Bus mit weniger als 50 Stundenkilometern kommen. Man sieht die Bremslichter aufleuchten. Also hat er gebremst. Dann sieht man, wie das Fahrzeug sich an die Leitplanke lehnt, umkippt und herunterfällt.“
Die Staatsanwaltschaft will auch die Leitplanke an der Außenbrüstung der Überführung genauer unter die Lupe nehmen. Sollte die Hypothese zutreffen, dass nicht genügend Sicherheitsvorkehrungen an der Unfallstelle getroffen wurden, könnte sich das Busunglück in andere Unglücksfälle in Italien aus jüngerer Zeit einreihen. Zu denken ist etwa an den wohl durch mangelnde Wartung und Kontrollen verursachten Einsturz der Morandi-Brücke in Genua im Jahr 2018, bei dem 43 Menschen starben. In Mestre ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen mehrfacher fahrlässiger Tötung im Straßenverkehr. dpa, jmm