Berlin – Drohen beim Supermarkteinkauf künftig Abstriche? Wie lange kann man sich die Miete noch leisten? Die Ängste der Bundesbürger werden dieses Jahr allen voran von Geldsorgen bestimmt, wie die Langzeitstudie „Die Ängste der Deutschen“ ergab, die gestern veröffentlicht wurde.
Demnach steht die Angst vor stark steigenden Lebenshaltungskosten laut der repräsentativen Umfrage auf Platz eins der größten Sorgen. Knapp zwei Drittel (65 Prozent) der Befragten gaben an, dass sie sich vor anziehenden Preisen fürchteten. Auch auf Platz zwei und drei der Rangliste landeten Sorgen rund ums Geld: Sechs von zehn Deutschen (60 Prozent) haben Angst, dass Wohnen unbezahlbar wird, 57 Prozent sorgen sich, dass der Staat dauerhaft Steuern erhöht oder Leistungen kürzt.
Die Umfrage „Die Ängste der Deutschen“ wird seit mehr als 30 Jahren regelmäßig von der R+V-Versicherung in Auftrag gegeben und gilt als kleiner Seismograph der Befindlichkeiten rund um Politik, Wirtschaft, Familie und Gesundheit. Für die diesjährige Befragung wurden zwischen Juni und August rund 2400 Menschen im Alter ab 14 Jahren von Meinungsforschern befragt – also vor den neuen Angriffen auf Israel.
Auch wenn die Lebenshaltungskosten die Deutschen am meisten umtreiben – im Vergleich zum Vorjahr gab es auf der Skala einen leichten Rückgang (minus 2 Prozentpunkte). „Die Menschen haben sich daran gewöhnt“, so Politikwissenschaftlerin Isabelle Borucki gestern bei der Vorstellung der Ergebnisse in Berlin. Borucki begleitete die Studie als Beraterin.
Mit Blick auf die Gesamtergebnisse sagte Isabelle Borucki: „Das bedeutet nicht, dass wir es bei der befragten Gruppe mit grundlegend ängstlichen Menschen zu tun haben. Die Menschen sind vielmehr ängstlich, weil alles auf einmal passiert.“ Inflation, Zuwanderung, Kriege.
Im Vergleich zu 2022 sind zwei Ängste besonders groß geworden: Die Angst, dass Deutsche und deutsche Behörden durch Geflüchtete überfordert sein könnten (plus 11 Prozentpunkte) und die Angst, dass das Zusammenleben in Deutschland durch einen weiteren Zuzug von Migrantinnen und Migranten beeinträchtigt werden könnte (plus 10 Prozentpunkte). Die Ängste belegen Platz vier und zwölf des Rankings.
Viele Menschen suchten wegen verschiedener weltweiter Konflikte Schutz in Deutschland, etwa aus der Ukraine, sagte Borucki. Seit Monaten werde deswegen über die Überlastung der Kommunen diskutiert. „Damit verbunden ist auch eine gewisse gestiegene Angst vor anderen, sogenannten illegalen Einwanderern.“ Aktuell gibt es lokal teilweise Engpässe bei der Unterbringung von Geflüchteten. Aus der Migrationsforschung wisse man, dass auch Sorgen „um knappe Güter“ bei Ängsten in Bezug auf Einwanderung eine Rolle spielten, sagte Borucki – zum Beispiel, dass Wohnraum, Betreuung und Sozialleistungen durch Flüchtlinge in Anspruch genommen werden könnten.
Die aktuellen Umfrage-Ergebnisse zeigen demnach auch, dass das Vertrauen in die Politik sinkt. Jeder zweite (51 Prozent) Bundesbürger fürchtet, dass Politikerinnen und Politiker mit ihren Aufgaben überfordert seien. Im Vergleich zum Vorjahr rückt die Sorge sogar vier Plätze weiter nach vorne und steht auf Platz sechs des Ängste-Rankings. Borucki zufolge erwarten die Bürgerinnen und Bürger zukunftsfähige Lösungen vom Staat, die klar kommuniziert werden. MIA BUCHER