Burbank – All die Erfolge von Disney aufzuzählen, ist fast unmöglich. „Ich hoffe, dass wir nicht vergessen, dass das alles mit einer Maus angefangen hat“, soll Walt Disney, der den Konzern vor 100 Jahren mit seinem Bruder Roy gegründet hat, einmal gesagt haben. Doch das Jubiläum ist nicht nur ein Feiertag.
Der Unterhaltungsriese wird von Wogen des Wandels erfasst, die sein Geschäft durcheinanderwirbeln könnten. Der Niedergang des einst lukrativen Kabel-Fernsehens in den USA, die scharfe Konkurrenz im Streaming, Vorboten einer kreativen Revolution durch Künstliche Intelligenz – Disney-Chef Bob Iger muss Weichen stellen, die über die Zukunft des Konzerns entscheiden werden.
Das hat auch Folgen dafür, was wir als Zuschauer in Kino und TV sowie als Besucher der Disney-Freizeitparks erleben werden. So kündigte Bob Iger an, dass es weniger der teuren Marvel- und „Star-Wars“-Produktionen geben werde, mit denen der Konzern seinen Streaming-Dienst Disney+ attraktiver machen wollte.
Disneys Problem: Das Streaming macht hohe Verluste. Allein im zweiten Quartal 2023 brachte es ein operatives Minus von einer halben Milliarde Dollar ein – und das schon nach Sparmaßnahmen. Derweil versiegt die einst verlässliche Geldquelle, die den Konkurrenzkampf mit Netflix und Co finanzieren sollte: Immer mehr amerikanische Haushalte geben ihre teuren Kabel-TV-Verträge auf. Sie streamen stattdessen – doch während das Kabel-Bündel Erlöse für alle Sender garantiert, muss man hier Monat für Monat mit Netflix, Apple und Amazon um Kunden kämpfen.
Die 100 Jahre von Disney sind die Geschichte einer Firma, die auf Kreativität aufbaute, neue Geschäftsmodelle erfand – und zu einem wachsenden Imperium wurde. Gegründet am 16. Oktober 1923 als Trickfilm-Studio der Brüder Walt und Roy, ging Disney immer wieder Risiken ein, um künstlerische Visionen zu verwirklichen. 1928 war der Micky-Cartoon „Steamboat Willie“ der erste vertonte Zeichentrickfilm. In den 30er-Jahren soll Roy befürchtet haben, dass Walts Ambitionen, jahrelang an „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ zu arbeiten, Disney in den Ruin treiben könnten. Der erste lange gezeichnete Film war zwar auch finanziell ein Erfolg – doch auf ihn folgten mehrere Verlustbringer. Um in den 50er-Jahren den Bau des ersten Disneyland-Parks zu finanzieren, verkaufte Walt Disney sein Haus in Palm Springs. Zugleich entdeckte Disney schon Ende der 20er-Jahre, wie lukrativ das Geschäft mit Fanartikeln zu populären Figuren sein kann. Der Konzern erkannte auch früh, wie wertvoll es ist, mit dem Fernsehen ständig in den Wohnzimmern präsent zu sein. Zeichentrick wurde mit Kinofilmen und später eigenen TV-Sendern ergänzt. Unter Iger kaufte Disney den Computeranimations-Pionier Pixar, die Marvel-Studios mit den „Avengers“, George Lucas’ „Star-Wars“-Universum und das Film- und Fernsehgeschäft von Fox.
Mit den Zukäufen kam ein beispielloses kreatives Arsenal zusammen, der Preis waren allerdings auch Milliarden-Schulden, die nun auf Disney lasten. Iger prescht derweil weiter nach vorn und will in den kommenden zehn Jahren 60 Milliarden US-Dollar (56,6 Mrd. Euro) in den Ausbau der Freizeitparks und des Kreuzfahrt-Geschäfts stecken. Der 72-Jährige war eigentlich schon im Ruhestand, kam aber zurück, als die Unzufriedenheit mit seinem Nachfolger Bob Chapek wuchs. Jetzt will Iger bis 2026 an der Disney-Spitze bleiben. Er sei „extrem optimistisch“, dass der Konzern den Wandel bewältigen werde.
Zugleich werden Filme und TV-Produktionen heute anders gemacht. Gerade in vielen Superhelden-Filmen agieren die Schauspieler oft größtenteils in blau gefärbten Studios, während die Umgebung später am Computer ergänzt wird. In Serien wie „The Mandalorian“ bei Disney+ liefert ein gewaltiger LED-Bildschirm die Kulisse für viele Szenen, was viel günstiger als ein Außendreh ist.
Der jüngste Streik der Schauspieler und Autoren in Hollywood wurde auch von Ängsten ausgelöst, dass Studios mit der Zeit Künstliche Intelligenz Drehbücher schreiben lassen und Menschen im Hintergrund von Szenen durch digitale Figuren ersetzen könnten.
Während sich die Autoren mit den Studios geeinigt haben und auf die Rückkehr der Schauspieler hoffen, ist deren Streik vergangene Woche eskaliert. Die Gewerkschaft fordert eine Neuverteilung der Einkünfte von Streaming-Plattformen. Das würde die Branche mehr als 800 Millionen US-Dollar im Jahr kosten, kritisieren die Studios. Die Verhandlungen wurden nach Angaben beider Seiten vom Donnerstag abgebrochen und vorerst ausgesetzt. Damit stehen die Dreharbeiten im US-Filmgeschäft auf unbestimmte Zeit weiter still.