Geiselnahme auf dem Vorfeld

von Redaktion

Hunderte Flüge am Hamburger Flughafen gestrichen – Wie konnte das überhaupt passieren?

Hamburg – Nervenkrieg auf dem Hamburger Flughafen: Ein bewaffneter Mann hatte am Samstagabend gegen 20 Uhr mit seinem Auto samt seiner vierjährigen Tochter eine Absperrung zum Vorfeld des Airports durchbrochen. Anschließend hatte sich der 35-Jährige mit dem Kind im Auto auf dem Gelände verschanzt. Mehr als 18 Stunden lang versuchte die Polizei, die Geiselnahme unblutig zu beenden. Am Sonntagnachmittag kam die erlösende Nachricht: Das Mädchen wurde befreit, der Vater festgenommen. Doch wie konnte das Drama überhaupt passieren?

„Der Tatverdächtige hat zusammen mit seiner Tochter das Auto verlassen“, schrieb die Polizei auf X, früher Twitter gestern Nachmittag. Er sei widerstandslos von den Einsatzkräften festgenommen. worden. „Es wird jetzt noch geguckt, ob er mögliche Sprengkörper noch irgendwie an sich trägt oder bei sich trägt oder ob sie noch im Auto vorhanden sind“, sagte Polizeisprecherin Sandra Levgrün kurz nach dem Zugriff am Sonntagnachmittag.

Der türkische Staatsbürger hatte auf dem Gelände in die Luft geschossen und Brandsätze aus dem Wagen geworfen. Vorausgegangen war dem Drama laut Polizei ein Sorgerechtsstreit mit der Mutter des Kindes. Bereits im März 2022 war er unberechtigt mit seiner Tochter in die Türkei gereist. Damals hatte die Mutter das Kind zurückgeholt.

Die Nacht hindurch und auch am Sonntag stand die Polizei in Verhandlungen mit dem Mann. Der Flugbetrieb ruhte. Oberste Priorität habe der Schutz des Kindes, meldete die Polizei während der Gespräche immer wieder. Die Ehefrau des Geiselnehmers, die sich in Stade bei Hamburg aufgehalten haben soll, war während der zermürbenden Verhandlungen auf dem Flughafengelände. Sie wurde von Mitarbeitern eines Kriseninterventionsteams betreut.

Nach Angaben des Flughafens vom Sonntagvormittag waren seit dem eigentlichen Betriebsbeginn um 6 Uhr bis 11 Uhr bereits 126 Flüge gestrichen worden. Fünf Ankünfte seien zu anderen Flughäfen umgeleitet worden. Für den gesamten Tag seien eigentlich 286 Flüge – 139 Abflüge und 147 Ankünfte – mit rund 34 500 Passagieren geplant. Wie viele davon tatsächlich stattfinden können, ist laut Flughafen unklar. „Die Vorbereitungen für die schnellstmögliche Wiederaufnahme des Flugbetriebes laufen“, hieß es gestern.

Fluggast Roland Kaminski wollte am Samstag von Hamburg aus mit Frau und Sohn nach Dubai starten. Viel mehr als der stundenlang ausgesetzte Flugverkehr ärgerte Kaminski, dass es dem Mann überhaupt möglich war, auf das Flughafengelände zu gelangen. „Wir werden durch sämtliche Sachen durchgecheckt. Da noch mal, da noch mal, da noch mal – und er kommt hier mit seinem Auto und kann die Sicherheitsanlagen durchbrechen“, klagte Kaminski gestern. Das sei ihm völlig unverständlich. „Ganz ehrlich, da läuft irgendwie was verkehrt.“ Anders als etwa auf etlichen Plätzen, wo im Boden versenkbare Sicherheitspoller ein unbefugtes Passieren von Fahrzeugen verhindern, scheinen am Flughafen Hamburg rot-weiße Schranken das einzige Hindernis für den 35-Jährigen auf dem Weg in den Sicherheitsbereich gewesen zu sein.

Und es war auch nicht der erste derartige Vorfall an deutschen Flughäfen. Erst im Juli hatten Klimaaktivisten der Gruppe Letzte Generation am Airport Hamburg den Zaun am Airport aufgeschnitten, fuhren mit Leihrädern in Richtung Rollfeld und klebten sich an mehreren Stellen auf Zubringerwegen fest. Die Folge: Am Flughafen ging über Stunden nichts mehr. Ähnliches geschah zuletzt auch an den Flughäfen in Berlin und München.

Entsprechend harsch fällt auch das Urteil des Luftfahrtexperten Heinrich Großbongardt aus, der früher bei der Lufthansa, bei Boeing und bei der Pilotenvereinigung Cockpit gearbeitet hat: „Der Hamburger Flughafen ist nicht sicher – und andere Airports in Deutschland auch nicht“, sagt er dem „Spiegel“. Es sei ein Skandal. Flughäfen „sind seit Jahrzehnten als bevorzugte Angriffsziele für Terroristen bekannt. Auf den Vorfeldern stehen Maschinen mit zehntausenden Litern Kerosin im Bauch und hunderten Passagieren an Bord.“ Großbongardt nennt die Flughafenbetreiber und Behörden deshalb „unfassbar naiv“.

Der Flughafen Hamburg ist sich keiner Versäumnisse bewusst. „Die Sicherung des Geländes entspricht allen gesetzlichen Vorgaben und übertrifft diese größtenteils“, sagt eine Sprecherin. Dennoch könne bei der Größe des Airports nicht ausgeschlossen werden, „dass ein hochkrimineller unbefugter Zutritt zum Sicherheitsbereich mit brachialer Gewalt erfolgen kann“.  dpa

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