Höllenschlund öffnet sich auf vier Kilometer

von Redaktion

Vulkanausbruch auf Island größer als erwartet – Rekordmengen an Lava ausgeströmt

VON JÉRÉMIE RICHARD

Nach einer wochenlangen Erdbeben-Serie ist in Island ein Vulkan spektakulär ausgebrochen. Auf der Halbinsel Reykjanes südwestlich der Hauptstadt Reykjavik sprudeln seit Montagnacht riesige Lava-Fontänen aus einem mehr als vier Kilometer langen Riss. Die glühende Spalte ist Experten zufolge um ein Vielfaches länger als bei den Ausbrüchen der vergangenen Jahre auf der Halbinsel. Auch der Lavastrom sei viel größer, etwa 100 bis 200 Kubikmeter Lava pro Sekunde strömten aus dem Höllenschlund heraus. Wie der isländische Wetterdienst mitteilte, ließ die Stärke der Eruption am Dienstag zunächst zwar etwas nach, die Dauer des Ausbruchs lässt sich aber überhaupt noch nicht abschätzen.

Der nahe gelegene Ort Grindavik war bereits vor Wochen vorsorglich evakuiert worden. In der Region rund um Grindavik hatte es seit Oktober tausende Erdbeben gegeben, weswegen ein Ausbruch des Vulkans früher oder später erwartet worden war. Deshalb hatten die isländischen Behörden den Notstand ausgerufen und den 4000-Einwohner-Ort bereits im November evakuieren lassen. Die Bewohnerinnen und Bewohner durften seitdem nur zu bestimmten Uhrzeiten in ihre Häuser zurückkehren. Auch die nahe gelegene Touristenattraktion Blaue Lagune, die wegen ihres Thermalfreibads beliebt ist, wurde nach der Erdbebenserie geschlossen.

Am Montagabend um 22.17 Uhr (MEZ 23.17 Uhr) begann schließlich der vorhergesagte Ausbruch: Der Vulkan spuckte orange-glühende Lava-Fontänen in den Nachthimmel. Der Spalt, aus dem die Lava austritt, sei bis zum frühen Dienstagmorgen immer weiter angewachsen, teilte der Wetterdienst mit. Das südliche Ende der Spalte ist demnach nur drei Kilometer von Grindavik entfernt. Die Intensität des Ausbruchs habe sich aber stabilisiert.

„Wir hoffen auf das Beste, aber es ist klar, dass dies ein erheblicher Ausbruch ist“, schrieb Islands Ministerpräsidentin Katrin Jakobsdottir im Online-Netzwerk Facebook. „Wir warten jetzt ab, was die Kräfte der Natur bereithalten“, schrieb Präsident Gudni Thorlacius Johannesson im Onlinedienst X, ehemals Twitter. Der Schutz von Menschenleben und Infrastruktur habe nun oberste Priorität.

Nach dem Ausbruch wurden alle Straßen rund um Grindavik gesperrt, diese Maßnahmen sollen nach Polizeiangaben zunächst auch fortbestehen. Für die Bevölkerung besteht demnach keine Gefahr. Katastrophenschutz-Leiter Vidir Reynisson warnte aber davor, sich dem Vulkan zu nähern. Der Ausbruch sei keine Touristenattraktion, sagte er im Fernsehsender RUV. In den vergangenen Jahren hatten Eruptionen in der Gegend laut Schätzungen der Tourismusbehörde mehr als 680 000 Schaulustige anzogen.

Für den Luftverkehr wurde kurzzeitig die rote Warnstufe ausgerufen, aber schnell wieder auf orange herabgestuft. Der Flughafenbetreiber Isavia erklärte auf seiner Website, derzeit gebe es bei Starts und Landungen am Hauptstadtflughafen Keflavik keinerlei Behinderungen. Im April 2010 hatte eine Eruption des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull einen Monat lang den Flugverkehr in ganz Europa lahmgelegt. Mehr als 100 000 Flüge mussten damals gestrichen werden.

Der jetzige Vulkanausbruch ist der vierte in Island in zwei Jahren. Auf der Halbinsel Reykjanes hatte es bis 2021 acht Jahrhunderte lang keinen Ausbruch gegeben. 2021, 2022 und Anfang 2023 gab es dann drei Eruptionen – bisher allesamt in abgelegenen und unbewohnten Gebieten. Vulkanologen zufolge könnte die neue Welle von Ausbrüchen auf Reykjanes Jahrzehnte andauern.

Island ist mit mehr als 30 aktiven Vulkansystemen die größte und aktivste Vulkanregion Europas. Der Inselstaat im Nordatlantik liegt auf dem sogenannten Mittelatlantischen Rücken, der die eurasische und die nordamerikanische Erdplatte trennt.

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