Die Macht der Berührung

von Redaktion

Weltknuddeltag: Körperkontakt ist für das menschliche Wohlempfinden unverzichtbar

Leipzig – „Es ist traurig“, sagt Tobias Frank: „Wir berühren die Bildschirme unserer Smartphones häufiger als wir andere Menschen halten, eine tröstende Hand oder eine Umarmung schenken.“ Der Vorsitzende des „Netzwerk Berührung“ im nordrhein-westfälischen Nideggen weiß es deshalb zu schätzen, dass der „Weltknuddeltag“ an diesem Sonntag auf die Bedeutung von Berührungen aufmerksam macht.

Nach den Worten des Wahrnehmungspsychologen Martin Grunwald sind körperliche Berührungen für den Menschen lebensnotwendig. „Wir brauchen adäquaten Körperkontakt für ein gesundes Leben und für einen guten Zusammenhalt in der sozialen Gemeinschaft. Ein Organismus, der nicht fühlen kann, ist zum Sterben verurteilt“, sagte der Wissenschaftler der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Es gebe Tierstudien, die gezeigt hätten, dass der völlige Verlust sozialer Kontakte tödlich ende.

Berührungen seien „eine elementare Voraussetzung dafür, dass der Mensch überhaupt wächst“, erklärte Grunwald, der an der Universität Leipzig das Haptiklabor leitet. „Alle biologischen Wachstumsprozesse von Säugetieren sind abhängig von Körperkontakten. Das heißt, Wachstumsprozesse finden nicht statt, wenn es nicht ein angemessenes Maß an Körperverformungen gibt.“

Werden Berührungen als angenehm empfunden, schüttet das Gehirn Studien zufolge Botenstoffe aus, die das Wohlbefinden steigern. So sorgt beispielsweise das „Glückshormon“ Serotonin für eine positive Stimmung, während Oxytocin die soziale Bindung zwischen den Menschen festigt. Untersuchungen belegen zudem, dass Streicheln oder die Hand zu halten eine blutdrucksenkende und stressmindernde Wirkung hat und das Immunsystem stärkt.

Vor allem bei Neugeborenen und Kindern kann mangelnder Körperkontakt psychische und physische Schäden verursachen. „Berührungen haben trotzdem keine Lobby“, mahnt Frank. „Es gibt immer noch zu wenig Forschung auf diesem Gebiet und kein wirtschaftliches Interesse, Umarmungen bei bestimmten Leiden unterstützend einzusetzen.“

Aber auch für Paare ist Kuscheln und Nähe wichtig: Die Forscher der University of Michigan konnten nachweisen, dass Paare, die viel miteinander kuscheln glücklicher sind. Für diese Erkenntnis wurden die Beziehungen zwischen Sexualleben, Beziehungszufriedenheit und Kuschel-Gewohnheiten von 514 Studienteilnehmern untersucht. Dabei kam nicht nur heraus, dass kuschelnde Paare glücklicher sind, sondern auch, dass die Zuneigung und Liebe zu einem Partner wächst, wenn man mit ihm kuschelt.

Wie wichtig es ist, den Händedruck oder die Umarmung einer anderen Person zu spüren, haben viele Menschen während der Kontaktbeschränkungen in der Corona-Pandemie realisiert. „Damals wurden Berührungen als gesundheitliches Risiko stigmatisiert“, erinnert sich Frank. Zugleich sei die Suche nach einem einigermaßen gleichwertigen Ersatz erkennbar gewesen. Die Begrüßung per Ellenbogen-Bump, das Winken aus der Ferne oder der Fersen-Kick hätten jedoch nur die wenigsten wirklich überzeugt – und sich kaum durchgesetzt.

Wer alleine lebt und regelmäßige Berührungen vermisst, dem rät Profi-Berührerin Milka Reich, sich zumindest selbst die Füße zu massieren oder hin und wieder etwas Zeit im warmen Wasser zu verbringen. Auch mit einem Haustier, so die Fachfrau, ließen sich körperliche Nähe und Interaktion recht gut herstellen. JUTTA SIMONE THIEL

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