Das erste Grandhotel der Welt

von Redaktion

Vor 250 Jahren eröffnete Herberge veränderte das Reisen der Oberschicht

Berlin – Ein warmer Ziegelstein im Daunenbett und eine Schüssel wohlriechenden Wassers auf dem Zimmer: Für Reisende ist das im ausgehenden 18. Jahrhundert in Europa purer Luxus. Mit erdacht hat dieses Wohlgefühl seinerzeit der Perückenmacher David Low, der heute vor 250 Jahren in London ein „Grand Hotel“ eröffnete. Das Haus in der King Street am Covent Garden gilt als die erste Luxusherberge unter diesem Namen.

Für seine Geschäftsidee lauscht Low der Legende nach beim Frisieren seiner vermögenden Kundschaft, die sich über Läuse, Bettwanzen und stinkende Aborte in Gasthöfen echauffierte. Low ist damals wohl das, was heute Trendsetter heißt: Um 1800 beginnt in Europa eine Ära, in der das Reisen langsam wieder zum Vergnügen wird – wenn auch noch lange nicht für jedermann.

So selbstverständlich wie heute ist Reisen lange Zeit nicht. „Wer nicht unterwegs sein musste, ließ das lieber“, ergänzt Spode. Er geht davon aus, dass vor allem im Mittelalter weniger als ein Prozent der Bevölkerung freiwillig unterwegs war. Denn mit dem Untergang des Römischen Reichs bricht auch die einst vorzügliche Verkehrsinfrastruktur zusammen. „Es gab kaum befestigte Straßen, noch weniger Brücken und auch keine gefederten Kutschen mehr“, ergänzt er.

Dazu ist Reisen damals gefährlich. Im Wald, da sind die Räuber – das ist bis ins späte 17. Jahrhundert weder ein Witz noch ein Märchen. „Erst um 1800 brachen in Europa friedlichere Zeiten an“, berichtet Spode. Postkutschen fahren regelmäßig und bald gibt es wie zur Römerzeit alle 30 bis 50 Kilometer einen Gasthof für den Pferdewechsel mit einer Übernachtungsmöglichkeit.

Dem Geschmack der vermögenden Reisenden entsprechen die simplen Unterkünfte und gemeinsame Mahlzeiten mit dem einfachen Volk wenig. „Es gab den Ratschlag, sich zu bewaffnen und Vorhängeschlösser für die Zimmer mitzunehmen“, sagt Spode. Er hält es für glaubwürdig, dass David Low in dieser Stimmung Ende des 18. Jahrhunderts den Begriff Grandhotel erfunden hat. Denn in den Städten entstehen damals immer mehr unbefestigte Adelspalais mit großen Fenstern, die auf Französisch „hôtel“ heißen. Low mietet solch ein Haus, lässt es umbauen und verschuldet sich dabei wohl zu hoch. Trotz seiner guten Geschäftsidee soll er in Armut gestorben sein.

Das Londoner Palais steht noch heute und beherbergt im Moment eine Luxus-Kosmetikmarke und sündhaft teure Apartments. Auch Lows Wortschöpfung für eine luxuriöse Unterkunft überlebt. Grandhotel – dieser Begriff steht schnell für Neubauten mit einer gewissen Großartigkeit. Als eines der ersten Häuser dieser Art in deutschen Landen eröffnet 1807 der Badische Hof in Baden-Baden. Die Belle Époque der deutschen Kaiserzeit gilt als Blütezeit der Grandhotels.

„Das waren Häuser, die mit einer Palastarchitektur den Luxus und Geschmack ihrer Zeit widerspiegelten“, sagt Tobias Warnecke, Geschäftsführer des Hotelverbands Deutschland (IHA). Zu den Annehmlichkeiten gehören damals eine Gourmetküche, erstmalig fließend warmes und kaltes Wasser auf den Zimmern und bisweilen ein eigenes Bad und WC. Das ist mehr Komfort als in vielen Schlössern dieser Zeit. Kaiser Wilhelm II. soll von den Duschen im Berliner Luxushotel Adlon, das 1907 eröffnete, beeindruckt gewesen sein.

Für Warnecke sind Grandhotels auch Ort einer kleinen Revolution in der hierarchisch gegliederten Ständegesellschaft. Denn dort öffneten sich die Klassenschranken, Adel und gut betuchtes Bürgertum logierten gemeinsam. Grandhotels mit ihren Ballsälen, Bädern und Gärten werden zu einem Zentrum des gehobenen gesellschaftlichen Lebens, zum Ort für Geschäfte, Sehen und Gesehenwerden, Klatsch und Tratsch und auch so manchen kriminellen Akt. Das Hotel als faszinierende Bühne hinterlässt bald auch Spuren in der Literatur – im Hotelroman. Im 20. Jahrhundert folgen Kinofilme und TV-Serien.

Der Erste Weltkrieg ist ein jäher Einschnitt in dieser Erlebniswelt. Grandhotels scheinen damals aus der Zeit zu fallen. Die Idee von „Urlaub“ setzt sich langsam in breiteren Gesellschaftsschichten durch, die Nationalsozialisten locken mit Massenquartieren wie in Prora auf Rügen. Nach dem Zweiten Weltkrieg reist bald schon die Hälfte der Deutschen, heute sind es nach Berechnungen des Statistikamtes der EU knapp 80 Prozent.

Artikel 9 von 9