Sein Leben im Zug

von Redaktion

17-Jähriger tauscht festen Wohnsitz gegen eine Bahncard ein

München – Nachahmer hätten sich noch nicht bei ihm gemeldet, sagt Lasse Stolley mit einem Grinsen. „Dafür ist die Anfangsherausforderung wahrscheinlich zu hoch.“ Im Alter von 16 Jahren hat er seinen „festen Wohnsitz gegen eine Bahncard 100 eingetauscht“. Täglich fährt der junge Softwareentwickler aus Schleswig-Holstein in der ersten Klasse hunderte Kilometer durch Deutschland, arbeitet im Zug. Zahlreiche Medien haben in den vergangenen Wochen über seine ungewöhnliche Lebensform berichtet. Nach eineinhalb Jahren im ICE bilanziert Stolley: „Man muss schon dahinterstehen.“

„Im Zug werde ich häufig angesprochen und auch mal nach einem Foto gefragt“, berichtet der inzwischen 17-Jährige im Gespräch mit unserer Redaktion. Viele Mitarbeiter in den DB-Lounges kennen Stolley bereits. Zugbegleiter hätten ihn schon einmal eingeladen. Zuerst ins Bordrestaurant, dann noch auf eine Veranstaltung. Als Inhaber einer Bahncard 100 (Jugendpreis derzeit: 5888 Euro) darf Stolley sich kostenlos am Buffet in der DB-Lounge bedienen. Um zu duschen, geht er bei seinen Stopps in öffentliche Schwimmbäder. Seine Wäsche wäscht er oft per Hand auf der Toilette, das kann mühsam sein. „Mit ein wenig Übung lässt es sich ziemlich gut schlafen“, schreibt der 17-Jährige auf seinem eigenen Reiseblog. Er lag auch schon in der ebenerdigen Gepäckablage. In seinem Rucksack hat er einen Laptop, ein paar T-Shirts, zwei Hosen, ein Nackenkissen und seine Reisedecke. Das muss reichen. Das Leben im ICE gebe ihm enorm viel Freiheit, sagt Stolley. Er könne jeden Tag entscheiden, wohin er möchte. Inspiriert habe ihn eine Youtube-Dokumentation, nachdem sein ursprünglicher Plan, eine Ausbildung zum Fachinformatiker anzutreten, im Sommer 2022 gescheitert war. Die Anfangszeit sei hart gewesen, Privatsphäre gebe es für ihn kaum noch. Bei seinen Eltern sei die neue Lebensform am Anfang auf wenig Gegenliebe gestoßen. Sein Job leide nicht unter dem Leben im Zug, wie der Softwareentwickler sagt. Er könne ihn „von überall und zu jeder Uhrzeit nur mit meinem Laptop ausführen“.

Jeden Tag lernt Stolley auf seinen Fahrten durchs Land neue Menschen kennen. Er erinnert sich an das Gespräch mit einem Sprengmeister, der ihm erzählt habe, wie es ist, eine Bombe zu entschärfen. „Das war wahnsinnig interessant. Wir haben die ganze Nacht gequatscht, obwohl ich eigentlich schlafen wollte.“

Der Austausch im Zug sei etwas Besonderes, sagt Stolley. „Es ist verrückt, wie schnell sich die Leute öffnen – für eine Fahrt. Und danach sieht man sich wahrscheinlich nie wieder.“ Immer wieder sei er überrascht, wie schnell in solchen Gesprächen Vertrauen entstehen könne. Einmal habe er eine junge Frau getroffen, kurz vor ihrem vierwöchigen Urlaub. „Sie hat mir ihren Wohnungsschlüssel in die Hand gedrückt und hat gesagt, ich könne dort schlafen, während sie weg ist.“ Ein paarmal habe er dort geduscht, sagt der 17-Jährige. Nicht immer sind ihm die Mitfahrer derart wohlgesonnen. „Nachts wurde mir auch schon meine Decke geklaut“, berichtet Stolley. „Das war relativ unangenehm.“ Gemeinsam mit einem Zugbegleiter habe er den Dieb allerdings stellen können. „Er hat sich auf der Toilette versteckt, das war nicht so clever.“ Einmal sei er in der Früh in der Gepäckablage aufgewacht und eine Mikrowelle sei auf ihm gelegen. „Ich weiß nicht, ob die mich nicht gesehen haben“, lacht der 17-Jährige. „Und warum sie eine Mikrowelle dabeihatten, ist auch fraglich.“

LUKAS SCHIERLINGER

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