Schweden: Clan-Kriminalität eskaliert

von Redaktion

Mordrate 30-mal höher als in London – Immer mehr junge Menschen unter den Opfern

In Schweden kommt es immer häufiger zu tödlichen Auseinandersetzungen krimineller Clans. © Imago

Berlin/Oslo – Der Begriff ist ein Warnsignal: „Utsatt område“ nennen die Schweden die Gegenden, in die sich Touristen niemals trauen und um die auch viele Einheimische einen großen Bogen machen. Wörtlich übersetzt heißt das „Gefährdete Gebiete“. Die schwedische Polizei zählt über 60 solcher Orte. Es sind allesamt Viertel mit Sozialbauten aus den 60er-Jahren am Rande der großen Städte Stockholm, Göteborg und Malmö im Süden des Landes. Die Arbeiter von einst sind längst weg, inzwischen leben dort fast ausschließlich Menschen mit arabischem beziehungsweise afrikanischem Hintergrund. In manchen Vierteln hat sich eine hochkriminelle Szene entwickelt.

Die sogenannte Clan-Kriminalität wird in Schweden zu einem immer größeren Problem – mit gravierenden politischen Folgen. In den letzten anderthalb Jahren ist die Gewalt auf den Straßen eskaliert, es gibt regelrechte Bandenkriege mit zahlreichen Toten. 2022 starben 62 Menschen bei Auseinandersetzungen zwischen Banden, im vergangenen Jahr waren es 53. Viele der Opfer sind jung. Ein Fall, der besonders erschütterte: die Ermordung des erst 13 Jahre alten Milo, der durch einen Kopfschuss starb. Vor allem kriminelle Sub-Clans mit libanesisch-kurdischen Wurzeln, die in den 1980er-Jahren nach Schweden kamen, und somalische Banden beherrschen die Szene in Schweden.

Die politische Stimmung in dem Land, das lange für Willkommenskultur und eine gerade im Vergleich zu den Nachbarn Dänemark oder auch Norwegen wenig restriktive Einwanderungspolitik stand, verändert sich. „Schweden fühlte sich spätestens seit 2015 überfordert, was die Integrationspolitik anbelangt“, sagt Nordeuropa-Experte Tobias Etzold, der am Norwegian Institute of International Affairs (Nupi) in Oslo forscht. „Die Integrationspolitik gilt als gescheitert, und das hat unter anderem auch zu dem Rechtsruck der letzten Jahre geführt.“

Tatsächlich haben die extremen Gewaltausbrüche in den schwedischen Vorstädten der rechtspopulistischen Partei der Schwedendemokraten einen kometenhaften Aufstieg beschert. Bei den Wahlen 2022 wurden sie zweitstärkste Kraft und haben als Mehrheitsbeschaffer der konservativ-liberalen Minderheitsregierung direkten Einfluss auf die schwedische Regierung. Die Schwedendemokraten nennen Einwanderung als Hauptursache für die grassierende Clan-Kriminalität. Zu kurz gedacht, macht Tobias Etzold klar. „Einwanderung per se ist nicht die Ursache für die Bandenkriminalität. Vielmehr ist es zu großen Teilen eine verfehlte Sozial- und Integrationspolitik und eine massive Segregation ganzer Bevölkerungsteile. Dafür ist Schweden ein herausragendes Beispiel.“

In den alten Wohnblocks der Vorstädte, die oft in keinem guten Zustand mehr sind, leben zehntausende Menschen mit Migrationshintergrund unter sich. Der Ausländeranteil in den Vierteln liegt bei 80 Prozent und mehr. Über Jahre sind Migranten und Geflüchtete hier angesiedelt worden, weitgehend sich selbst überlassen. Möglichkeiten zur Integration gibt es so gut wie keine, und die Jugendarbeitslosigkeit ist extrem hoch. „Gerade viele Jugendliche, auch Minderjährige, kommen in Kontakt mit Banden oder werden von diesen Clans gezwungen, Verbrechen zu begehen“, erklärt Tobias Etzold.

In Sicherheitskreisen ist die Rede davon, dass inzwischen rund 30 000 Menschen gewaltbereiten Gangs beziehungsweise kriminellen Clans angehören. Und die Mordrate pro Kopf ist in Stockholm laut einer Analyse des Wall Street Journal inzwischen 30-mal so hoch wie in London.
PETER SIEBEN

Artikel 4 von 10