Eine Maschine vom Typ ATR 72 verunglückte am Freitag in Brasilien. 62 Menschen kamen dabei ums Leben. © SCHINCARIOL/AFP
São Paulo – 62 Menschen sind am Freitag beim Absturz eines Passagierflugzeugs nahe der brasilianischen Metropole São Paulo gestorben (wir berichteten). Sie verbrachten ihre letzten Minuten in einer Turboprop-Maschine vom Typ ATR 72. Die Ursache für den tragischen Unfall ist noch unklar – es ist jedoch nicht das erste Mal, dass ein Flugzeug dieses Typs abgestürzt ist.
Zwischen 1994 und August 2024 kam es zu insgesamt 13 tödlichen Unfällen mit ATR-72-Maschinen, bei denen 531 Menschen starben. Eine der häufigsten Ursachen für die Abstürze war eine Vereisung der Tragflächen. Dies tritt meist bei Temperaturen um minus fünf Grad Celsius auf und wird besonders im Landeanflug gefährlich. Vereiste Tragflächen führten beispielsweise im Oktober 1994 zum Absturz einer ATR 72 der Fluggesellschaft American Eagle Airlines, bei dem 68 Menschen ums Leben kamen. Ob dies auch der Grund für den Absturz bei São Paulo war, wird noch ermittelt.
Der letzte ATR-72-Unfall vor dem tragischen Absturz in Brasilien ereignete sich erst im Januar 2023, als eine Maschine von Yeti Airlines in Nepal abstürzte. Alle 72 Menschen an Bord kamen bei dem Unglück ums Leben. Als Ursache für den Absturz wurde von Ermittlern menschliches Versagen angegeben: Der übermüdete Kapitän hatte die Triebwerke im Landeanflug fälschlicherweise in den Leerlauf gestellt, sodass die Geschwindigkeit rapide abnahm und es zu einem Strömungsabriss kam.
Von München aus waren ATR-72-Maschinen vor allem mit Air Dolomiti nach Italien unterwegs. 2013 wurde der Typ jedoch ausgemustert, nachdem es im Mai 2012 zu einer Notlandung einer ATR 72 von Air Dolomiti gekommen war. Dabei kämpfte die Besatzung nach einem Triebwerksbrand mit festgefahrenen Rudern. Bei der Notlandung kam das Flugzeug 300 Meter von der Landebahn am Münchner Flughafen ab. An Bord befanden sich zu dem Zeitpunkt 58 Passagiere und vier Crewmitglieder. Fünf Insassen erlitten bei dem Vorfall leichte Verletzungen.
Wie gefährlich ist also die ATR 72? Unter Experten gilt die Turboprop-Maschine trotz 13 tödlicher Unfälle als bewährter und robuster Airliner. Der „Neuen Zürcher Zeitung“ zufolge erfreut sich der Typ zudem immer größerer Beliebtheit, da er im Vergleich zu Jets sparsamer im Verbrauch ist und deutlich weniger Start- und Landestrecke benötigt.
In Brasilien werten die Ermittler derweil nach dem jüngsten Absturz einer ATR 72 den Flugdatenschreiber und den Stimmenrekorder aus. Beide Geräte – die sogenannte Blackbox – wurden geöffnet, wie in einem Video des Zentrums für die Untersuchung und Vorbeugung von Luftfahrtunfällen (Cenipa) zu sehen war. Die Geräte sollen Aufschluss über die Ursache der Tragödie nahe São Paulo geben. Sie wurden zur Datenanalyse in das Labor von Cenipa in der Hauptstadt Brasília gebracht.
Es werden nun die flugbezogenen Aktivitäten, das Betriebsumfeld und die menschlichen Faktoren untersucht sowie eine Studie über die Komponenten und Systeme angefertigt, wie das Nachrichtenportal „G1“ berichtete. Innerhalb von 30 Tagen will das Cenipa einen vorläufigen Bericht zu dem Absturz vorlegen.
Die Maschine der Fluggesellschaft VoePass war am Freitagmittag auf dem Flug von Cascavel im Bundesstaat Paraná nach São Paulo kurz vor dem Ziel in ein Wohngebiet der Kleinstadt Vinhedo gestürzt. Alle 58 Passagiere und vier Besatzungsmitglieder kamen ums Leben – am Boden gab es keine Verletzten. Daten der Plattform Flightradar 24 legen nahe, dass das Flugzeug in weniger als einer Minute um fast 4000 Höhenmeter absackte. Videoaufnahmen zeigten, wie das Flugzeug in der Luft trudelte, ehe es auf dem Grundstück eines Wohnhauses aufprallte und explodierte.
Bis Samstagabend wurden alle Leichen geborgen. Unter den Opfern waren einem „G1“-Bericht zufolge unter anderem ein Vater und seine dreijährige Tochter, die den Vatertag, der in Brasilien am Sonntag gefeiert wird, gemeinsam verbringen wollten.
SBE/DPA