Leipzig – Kann sich auch eine zivile Sekretärin in einem Konzentrationslager mitschuldig am Massenmord im Nationalsozialismus gemacht haben? Diese Frage hat der Bundesgerichtshof in einer Grundsatzentscheidung im Fall einer früheren Schreibkraft des KZ Stutthof bei Danzig mit einem eindeutigen Ja beantwortet. Das Gericht hat die heute 99-Jährige wegen Beihilfe zum Massenmord und versuchten Mordes zu zwei Jahren Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt. F. hatte 1943 bis 1945 im Alter von 18 und 19 Jahren im Konzentrationslager (KZ) Stutthof bei Danzig gearbeitet.
Die Verteidigung von Irmgard F. hatte Revision eingelegt. Der BGH hatte darüber Ende Juli mündlich verhandelt. Die Anwälte stellten unter anderem infrage, ob der Frau ein Vorsatz nachgewiesen werden kann. Es sei nicht erwiesen, dass sie wirklich wusste, was in dem Lager vor sich ging. Die Bundesrichter gingen dagegen aufgrund der Feststellungen des Landgerichts Itzehoe davon aus, dass Irmgard F. sehr genau über das Geschehen im Lager Bescheid wusste. Sie blickte demnach von ihrem Arbeitsplatz über einen Teil des Geländes, sah den Schornstein des Krematoriums, wusste um den elenden Zustand der Gefangenen.
Der Fall gilt als das womöglich letzte Strafverfahren zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Massenmorde. Erstmalig stand eine Zivilangestellte vor Gericht. Wegen der historischen Bedeutung wurden Aufzeichnungen für das Bundesarchiv angefertigt.