„Athen wird zu Kairo werden“

von Redaktion

Griechenlands führender Waldbrand-Experte sieht keine Effizienz bei Brandbekämpfung

Professor Alexandros Dimitrakopoulos. © Batzoglou

Freiwillige Helfer versuchen, das Feuer im Norden von Athen zu löschen, während Hunderte von Feuerwehrleuten gegen einen großen Waldbrand vorgehen, der am Rande der Hauptstadt außer Kontrolle geraten ist. © Barai/AP

Athen – Seit Wochen toben nahe der griechischen Hauptstadt zahlreiche Feuer. Erstmals erreichte ein Waldbrand auch die nordöstlichen Athener Vororte Vrilissia und Chalandri und damit das Stadtgebiet von Groß-Athen. Professor Alexandros Dimitrakopoulos (63) ist Dekan an der Fakultät für Landwirtschaft, Forstwirtschaft und natürliche Umwelt der Aristoteles-Universität von Thessaloniki und auf Waldbrände spezialisiert. Die aktuelle Situation besorgt auch ihn. Zumal die Brände in diesem Ausmaß laut seiner Expertise verhindert werden hätten können.

Herr Dimitrakopoulos, die Griechen sind Waldbrände im Sommer inzwischen gewöhnt, aber wie konnte es dazu kommen, dass das Feuer so nah an die Hauptstadt rückte?

Das Brandrisiko war sehr hoch, auf einer Risikoskala von eins bis fünf lag es bei vier. Es herrschten hohe Lufttemperaturen von 36 Grad Celsius und Dürre. Ferner wehen hier um diese Jahreszeit die Meltemi-Winde. Das sind starke, trockene Nord- und Nordostwinde. Von 21 Uhr am Sonntag bis Montagmorgen um 9 Uhr gab es keine nennenswerte Brandbekämpfung. Daher brannte das Feuer mehr als zwölf Stunden lang ungestört bei starkem Wind. Wegen der starken Winde kam es in der Nähe neuer Siedlungen in Windrichtung immer wieder zu neuen Ausbrüchen. Die hohe Siedlungsdichte in brennenden oder brandgefährdeten Waldgebieten führte dazu, dass wertvolle Ressourcen der Waldbrandbekämpfung auf Kosten der aktiven Brandbekämpfung zum Schutz der Häuser eingesetzt wurden.

Sie sprechen einen wichtigen Punkt an: Die Regierung in Athen setzt bei Waldbränden auf die Massenevakuierung. Viele hätten bei der Brandbekämpfung aber helfen können, auch um ihre Häuser zu verteidigen. Ist das die richtige Strategie?

Sicherlich hätten viele dieser Menschen der Feuerwehr bei der Bekämpfung der Brände aktiv helfen können. Auf der anderen Seite ist die Evakuierung der gefährdeten Bevölkerung im Falle eines Waldbrandes in vielen europäischen Ländern durchaus gängige Praxis. Das menschliche Leben wird als höchstes Gut angesehen – zu Recht! Obwohl niemand sein Haus besser schützt als der Eigentümer, kann Übereifer zu einer größeren Katastrophe führen.

Stichwort Ressourcen der Brandbekämpfung: Es kämpften 560 Feuerwehrleute mit 17 Löschflugzeugen und 15 Hubschraubern gegen die Flammen. Die Regierung hat nun auch die EU um Hilfe gebeten. War das nicht ausreichend?

Nein. Das war nicht genug, wenn man sich das Ergebnis anschaut. Es stellt sich die Frage nach der Effizienz der Waldbrandbekämpfungskräfte. Das betrifft ihr konkretes Wirken bei der Brandbekämpfung, den Einsatz von Brandbekämpfungsgeräten und das Vorhandensein und die Wirksamkeit von Einsatzplänen zur Brandbekämpfung. Kurz gesagt: Es kommt nicht nur darauf an, wie viel Personal und Material man zur Brandbekämpfung hat, sondern auch darauf, wie man sie einsetzt.

Der Schaden durch das Großfeuer ist enorm: Eine Frau starb, Geschäfte wurden zerstört. Schätzungen nach sind 10278 Hektar verbrannt. Hätte dies alles vermieden werden können?

Ja, mit mehr Sachkenntnis und Eifer bei der Waldbrandbekämpfung, mit einer effizienteren Planung der lokalen Brandbekämpfungspläne und einer rationellen Organisation der Brandbekämpfungsmaßnahmen.

Attika, der Großraum Athens, brennt Jahr für Jahr. Nach Angaben des meteorologischen Dienstes Meteo sind in den letzten acht Jahren 37 Prozent der Wälder Attikas abgebrannt. Warum wird Attika so oft und so stark von Waldbränden heimgesucht?

Das liegt am trockenen und heißen Klima, der mediterranen Vegetation und vor allem an der hohen Bevölkerungskonzentration im attischen Becken, wo etwa die Hälfte der griechischen Bevölkerung lebt. In Griechenland werden 98 Prozent der Waldbrände absichtlich oder unabsichtlich von Menschen verursacht.

Können in den verbrannten Gebieten von selbst neue Wälder wachsen? Und was kann der Mensch tun?

Verbrannte mediterrane Ökosysteme wie Kiefernwälder und Sträucher regenerieren sich auf natürliche Weise durch Samen und Setzlinge, wenn sie mindestens zehn Jahre lang ungestört bleiben, also ohne menschliche Eingriffe, vor allem durch Beweidung und Überbauung. Die Natur heilt ihre eigenen Wunden auf die beste Art und Weise. Solange der Homo Oeconomicus nicht eingreift.

Die griechische Hauptstadt mit ihren vier Millionen Einwohnern ist ein Betonmeer mit sehr wenigen Grünflächen und Parks. Was bedeutet die nun verbrannte Fläche in der „Grünen Lunge“ Attikas für das Klima und das Leben in Athen?

Kurzfristig, für ein bis zwei Wochen, ist mit einem Anstieg der Schwebstoffe PM 10 und PM 2,5 sowie des Ozons in der Atmosphäre zu rechnen. Das führt zu Atemnot und Atemproblemen. Mittelfristig wird sich durch die Zerstörung des Waldes das Mikroklima im Stadtgebiet von Athen um mindestens 1,5 bis zwei Grad Celsius erwärmen. Die Sommer werden noch trockener werden. Die Lufttemperaturen werden während der Hitzewellen bei etwa 39 Grad liegen. Athen wird zu Kairo werden. Langfristig werden sich der Treibhauseffekt und der Klimawandel durch den Anstieg des Kohlendioxids in der Atmosphäre aufgrund der verbrannten Wälder noch verstärken. Dies wird zwangsläufig auch Auswirkungen auf den Tourismus haben.

Im vorigen Jahr verbrannte in Griechenland eine Fläche von 174773 Hektar mehr als ein Prozent der Landesfläche. Nun das Feuer in Attika und der Sommer ist noch nicht vorbei. Droht Griechenland in naher Zukunft eine großflächige Verwüstung?

Die Gefahr besteht, aber nicht unmittelbar. Zusätzlich zu den Waldbränden hat Griechenland allmählich mit einer ernsthaften Wasserknappheit zu kämpfen. Das hiesige Klima ist in den letzten 30, 35 Jahren wärmer und trockener geworden – mit all den Folgen für alle Lebewesen.


FERRY BATZOGLOU

Artikel 6 von 6