Serap Güler (CDU) ist seit 2021 Bundestagsabgeordnete. Sie will mehr Mittel für die Polizei bereitstellen. © Peter Sieben
Essen – Die Attacke ging ausgerechnet gegen diejenigen, die helfen wollten: Am Freitagnachmittag haben wütende Angehörige eines Patienten Mitarbeiter des Essener Elisabeth-Krankenhauses mit Tritten und Schlägen traktiert. Mindestens sechs Menschen wurde verletzt – eine 23-jährige Klinikmitarbeiterin so schwer, dass sie stationär behandelt werden musste. Die Polizei nahm vorübergehend einen 41-Jährigen mit türkisch-libanesischer Herkunft fest, die Ermittler sehen Verbindungen zum sogenannten kriminellen Clan-Milieu (wir berichteten).
Der Vorfall schlägt hohe Wellen, Klinik-Geschäftsführer Peter Berlin spricht von einer „Zäsur“: „Denn hier hat eine bisher noch nie da gewesene Aggressivität und Gewalt gegenüber Mitarbeitenden unseres Hauses stattgefunden.“ Auch die Politik beschäftigt sich mit dem Fall. „Der Vorfall in Essen schockiert mich. Wenn Menschen, die unser Leben retten, in Kliniken angegriffen werden, sagt das leider viel über den derzeitigen Zustand unserer Gesellschaft aus“, sagt die CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler, die im Ruhrgebiet aufgewachsen ist. Der Fall zeige, dass „Respekt vor grundlegenden Werten“ verloren gehe.
Im Essener Klinikum arbeiten seit dem Vorfall Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes rund um die Uhr und kontrollieren die Eingänge. Verständlich, findet Güler: „Wir sollten generell darüber nachdenken, unsere Einsatzkräfte stärker zu schützen.“ Es ist nicht das erste Mal, dass Rettungskräfte brutal angegangen wurden. Diesmal hatte ein Reanimationsteam versucht, das Leben eines älteren Patienten zu retten. Als Mitarbeiter der Familie die Todesnachricht überbrachten, eskalierte die Situation.
Nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) gaben bei einer Umfrage im April 73 Prozent der Krankenhäuser an, dass die Zahl der Übergriffe in den Häusern in den vergangenen fünf Jahren mäßig (53 Prozent) oder deutlich (20 Prozent) gestiegen ist. Am stärksten betroffen ist der Pflegedienst. Bundesweit ist die Zahl sogenannter Rohheitsdelikte (dazu zählen Raub und Körperverletzung) in medizinischen Einrichtungen seit 2019 um etwa 18 Prozent auf mehr als 6190 Taten (im Jahr 2022) gestiegen. Kliniken versuchen unter anderem mit Deeskalationstrainings, Zutrittsbeschränkungen, Videoüberwachung oder Sicherheitsdiensten solchen Situationen vorzubeugen.
Warum die Gewalt steige? „Sehr häufig ist der Grund, dass Patienten die Reihenfolge, wie Notfälle behandelt werden, nicht verstehen“, sagte DKG-Sprecher Joachim Odenbach. In der persönlichen Notsituation werde zunehmend Gewalt angewendet, bei Gruppen sei dies besonders häufig der Fall.
Mahmoud Jaraba vom Forschungszentrum für Islam und Recht in Europa forscht seit Jahren zu Clanstrukturen. „In Familienstrukturen, die stark von Clan-Dynamiken geprägt sind, spielt die Familienehre eine zentrale Rolle. Wenn der Eindruck entsteht, dass ein Angehöriger nicht respektvoll behandelt wurde, kann dies zu übersteigerten Reaktionen führen.“
Für Politikerin Güler ist indes klar: „Sollten kriminelle Clan-Strukturen dahinterstecken, wurde mit diesem Vorfall das Fass zum Überlaufen gebracht.“ Die Polizei müsse „endlich die Mittel und den Rückhalt bekommen, Clan-Strukturen effektiv und nachhaltig zu zerschlagen“. Allerdings reiche es nicht, nur zu reagieren. „Die Jugend darf gar nicht erst in diese Strukturen abrutschen. Dafür brauchen wir mehr Prävention, Bildung und echte Chancen.“
PETER SIEBEN