Minimale Erfolgsaussicht: Auf dem Handy-Display lernt man das Gegenüber kaum kennen. © dpa/Sina Schuldt
Berlin – Die Sache mit dem Park ist für Johanna Winter ein Tiefpunkt gewesen. Wie schon so oft wollte die 35-Jährige, die eigentlich anders heißt, in einer Dating-App ein Treffen mit einem Mann ausmachen. Alles lief wunderbar, bis es an die Wahl des Treffpunktes ging. Winter schlug einen Park am Wasser vor. „Er beendete den Kontakt mit den Worten, dass er kein Park-Mensch sei und es nie mit uns klappen werde“, erzählt sie, noch immer etwas verwundert.
Das ist Online-Dating in der Kurzfassung: erstaunlich. Im Sinne von: erstaunlich, wie rücksichtslos sich Menschen, die doch angeblich die Liebe suchen, verhalten können. Für Winter war der typische Lebenszyklus eines Online-Flirts – einen Mann aus der Flut von Männern dort auswählen, hin- und herschreiben und sich schließlich nicht mehr melden – irgendwann so frustrierend, dass sie mit den Apps Schluss machte und heute kaum noch einen Blick hineinwirft.
Tinder, OkCupid, Bumble, Hinge und viele ähnliche Portale sind längst zur ersten Anlaufstelle für Singles geworden. Sie bestimmen die Flirt- und Dating-Kultur – und frustrieren immer mehr Menschen. So sehr, dass einige von ihnen Dating-Apps aus ihrem Leben verbannen, und sei es nur für eine gewisse Zeit. Auch Eugen Herzog, seit fünf Jahren ohne Partnerschaft und hier ebenfalls mit Pseudonym, gehört dazu. „Ich habe alle Apps gelöscht. Die Leute machen online viel Show, ich vielleicht genauso. Es gibt keinen richtigen Einsatz“, meint der 42-Jährige.
Bei Winter, seit sieben Jahren Single, kam es zwar zu Verabredungen, aber: „Ich bin online noch nie über das erste Date hinausgekommen, unter anderem weil ich dort selten jemanden getroffen habe, der mit seinem Leben zufrieden war.“ Die Männer, sagt sie, ähnelten sich zudem oft optisch. „Mich erinnern sie an den Jungen von der Kinderschokolade, nur 40 Jahre später.“
Wer wie Winter und Herzog beim Online-Dating schon zu oft erlebt hat, wie sich Vorfreude in Enttäuschung verwandelt, der kann laut Psychotherapeutin Vera Schweiger „enormen Druck auf die Psyche“ spüren. „Oft sind viele Hoffnungen mit den Apps verbunden. Doch dann wird man abgeurteilt, plötzlich ignoriert. Wenn man ohnehin schon Angst vor Ablehnung aufgrund vergangener Erfahrungen oder Probleme mit dem Selbstwert hat, kann das solche Befürchtungen bestätigen“, erklärt sie.
Hinzu kommt: Sosehr wir es aus anderen Lebensbereichen gewohnt sind, lässt sich die Partnersuche nur begrenzt optimieren. Das perfekte Gegenüber kann man auch mit der x-ten Überarbeitung des eigenen Online-Dating-Profils nicht materialisieren. „Wer sich darauf einlässt, sollte sich bewusst machen, dass es ein langer, anstrengender Weg sein kann, der nicht unbedingt von Erfolg gekrönt sein muss.“
Auch deshalb rät Schweiger dazu, den Apps nicht zu viel Raum zu geben. „Ich erlebe oft in der Beratung, dass die Menschen auf immer mehr Dates gehen und die Dinge, die ihr Leben bereits erfüllen – Hobbys, Freunde, Familie – dafür vernachlässigen. Dabei ist es leichter, mit Zurückweisung umzugehen, wenn ich mir mit anderen Lebensbereichen Erfolgserlebnisse hole, etwa bei einem schönen Abend mit Freunden.“
Für Rike Schmidt, die wie die anderen nicht mit ihrem richtigen Namen erscheinen möchte, war das ein Grund, sich nach ihrer Trennung vor einem Jahr erst gar keine Flirt-App zu installieren. „Wenn mir Freunde und Kollegen von ihren Erlebnissen dort erzählen, denke ich: Fünf Dates in der Woche? Das ist doch Arbeit.“ Ihren neuen Partner fand sie beim Tanzen in einem Club.
ANNA EUBE