Faszienbälle und Hartschaumrollen können dabei helfen, Verspannungen zu lösen und Schmerzen zu lindern, raten Experten. © Klose/dpa
Bayreuth – Sie sind fein, wenige Millimeter dünn und durchziehen unseren gesamten Körper wie ein Netz: die Faszien. Lange Zeit galten sie als bloßes Verpackungsmaterial für unsere Muskeln, doch neuere Studien zeigen etwas anderes.
Diese oft übersehenen Strukturen können eine große Rolle für Rückenschmerzen und Sportverletzungen, Biomechanik und Beweglichkeit spielen. Selbst der Muskelkater könnte eigentlich ein Faszienkater sein, sagt Jan Wilke, Sportwissenschaftler und Faszienforscher an der Universität Bayreuth.
„Faszien sind sensorisch unglaublich wichtig.“ Zum einen enthielten sie Propriozeptoren, die Informationen über Bewegung, Druck und Spannung in verschiedenen Geweben lieferten. Zum anderen würden sie auch Schmerzwahrnehmungen verursachen. „Tatsächlich sind Faszien vermutlich schmerzsensibler als Muskeln“, so Wilke – eine Aussage, die durch mehrere Studien der vergangenen Jahre gestützt wird.
Diese Erkenntnis könnte laut Wilke bedeuten, dass ein Teil der bis dato als unspezifisch diagnostizierten Rückenschmerzen auf Probleme im Fasziengewebe zurückzuführen sind. Ein weiteres überraschendes Ergebnis betrifft den Muskelkater. „Wir haben lange gedacht, dieser entstünde durch Mikroverletzungen, Entzündungen oder Laktatansammlungen im Muskelgewebe“, so Wilke. Doch neue Studien legen nahe, dass es sich eher um eine Verdickung und Versteifung der schmerzempfindlichen Faszien handelt. „Es ist wahrscheinlich sinnvoller, von einem ‚Faszienkater‘ zu sprechen.“
Neben ihrer sensorischen Rolle haben Faszien auch eine entscheidende mechanische Funktion im Bewegungssystem. So umschließen Faszien nicht nur Muskeln, sondern sie verbinden sie auch und bilden somit ein spannungsreiches Netzwerk im Körper.
Entfernt man dieses Bindegewebe, verliert der Muskel bis zu 50 Prozent seiner Spannung, wie eine im Fachblatt „Journal of Ultrasound“ veröffentlichte Studie 2023 zeigte – eine Demonstration der Bedeutung von Faszien für die Stabilität des Körpers. Modellierungen aus Kanada von Ibrahim El Bojairami und Mark Driscoll legen auch nahe, dass die passive Stabilität der Lendenwirbelsäule mindestens ebenso stark durch die große Rückenfaszie beeinflusst wird wie durch aktive Muskelanspannung.
Was gegen den Faszienkater hilft? Vor allem Bewegung, sagt Wilke. Denn Faszien enthalten Hyaluronsäure, die wie ein Schmiermittel zwischen den Faszienschichten wirkt. „Mit Bewegung wird die Hyaluronsäure flüssiger und sorgt dafür, dass die Faszienschichten reibungslos gegeneinander gleiten können. Und das ist ganz wichtig für unsere Beweglichkeit und deren Erhalt.“
Wenn nun die Faszien eine derart wichtige Rolle spielen, könnte es naheliegen, sie durch gezieltes Training anzusprechen. Doch Sportwissenschaftler Wilke betont, dass es kein isoliertes Faszientraining gibt. „Natürlich trainiert man immer einen Komplex“, erklärt er. Bewegung, die multidirektional und dynamisch-federnd sei, tue den Faszien gut. „Faszien lieben Vielseitigkeit“, so Wilke.
Besonders Menschen, die sich wenig bewegen, sollten darauf achten, ihre Faszien durch vielfältige Bewegungen zu stimulieren. Auch der Einsatz von Hartschaumrollen oder Faszienbälle kann hilfreich sein, doch Wilke warnt davor, es zu übertreiben: „Es gibt keine klaren Belege dafür, dass intensives Rollen schädlich ist, aber man sollte mit Vernunft an die Sache herangehen.“ Für eine optimale Behandlung der Faszien brauche es nicht so viel Druck, wie bislang angenommen. Auch sanfte Massagen würden bei Schmerzen schon helfen.
Insgesamt sei die Grundlagenforschung zu Faszien mittlerweile sehr ausgereift – allerdings gebe es noch zu wenige, qualitativ hochwertige Interventionsstudien, mit denen sich zum Beispiel sagen ließe, welcher Sport besonders gut für die Faszien ist. Fest steht: „Wir haben Faszien lange Zeit unterschätzt“, sagt Wilke. Dieses Gewebe spielt eine bedeutende Rolle für das Wohlbefinden des Menschen.
ALICE LANZKE