Mafia-Paradies Deutschland?

von Redaktion

Alessandro Bellardita, Richter in Karlsruhe. © Neureither

München – Die Mafia agiert längst weltweit und hat in Deutschland Rückzugsorte gefunden. Das Bundeskriminalamt geht davon aus, dass in Deutschland über 1000 Mafiamitglieder leben. Der italienische Staatsanwalt Nicola Gratteri schätzt, dass die Zahl der Mafiosi hier zehn Mal höher ist. Welche Lehren können wir aus dem Kampf italienischer Sonderermittler gegen die Cosa Nostra (Sizilien), `Ndrangheta (Kalabrien), Sacra Corona Unita (Apulien) und Camorra (Kampanien) ziehen? Auf diese Frage gab Alessandro Bellardita, Strafrichter in Karlsruhe, bei einem Vortrag vor der Società Dante Alighieri München Antworten. Der in Sizilien geborene und in Karlsruhe aufgewachsene Bellardita beziffert den Umsatz der Mafia in Deutschland auf 96 Milliarden Euro. „Das größte Problem der Mafia ist das Bargeld“, sagt er. Die ungeheuren Summen – in einer Halle bei Neapel fanden Ermittler verbrannte Geldscheine im Wert von 1,7 Milliarden Euro – aus kriminellen Geschäften müssen gewaschen werden. Das Reinwaschen durch Eisdielen sei kaum möglich. Die Geldwäsche erfolge über Grundstückskäufe (Barzahlung in Deutschland erst seit 2023 verboten), Immobilien und Unternehmensbeteiligungen. Anfangs versuchten italienische Mafiosi auch in Deutschland, von Geschäftsleuten Schutzgeld zu erpressen. „Das hat hier nicht geklappt, weil sich die Leute gewehrt haben“, so Bellardita. Überhaupt seien die Einnahmen aus Drogengeschäften viel lukrativer als Schutzgeld vom Pizzabäcker. Bellardita: „In Italien sind 8900 Mafiosi in Haft, in Deutschland: null.“ Der italienische Mafia-Jäger Giovanni Falcone forderte: „Der Staat muss die besten Kräfte dafür einsetzen und diese müssen auch unabhängig sein.“ Falcone wurde 1992 in Palermo ermordet. Die zwei wichtigsten Maßnahmen zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität sind laut Bellardita: Die Zugehörigkeit zur Mafia muss genauso wie die zu einer terroristischen Vereinigung als schweres Verbrechen geahndet werden. Das italienische Strafgesetzbuch (§ 416 b) sieht dafür 10 bis 15, für Anführer 12 bis 18 Jahre Haft zwingend vor. Das deutsche Pendant (§ 129) sieht für die Bildung einer kriminellen Vereinigung eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren vor. Und zweitens die Vermögensabschöpfung: In Italien kann der Staat den Besitz eines Mafioso einziehen, sofern dieser nicht nachweisen kann, dass er ihn mit legalem Geld erworben hat. Das fällt den meisten dieser Kriminellen aber sehr schwer. In Deutschland muss der Staat diesen Nachweis erbringen. Weiter müssten laut Bellardita nicht nur Richter, sondern auch die Staatsanwälte so wie in Italien politisch unabhängig sein. In Deutschland sind sie weisungsgebunden.
CHRISTIAN VORDEMANN

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