Eng und unerforscht: Retter arbeiten sich in der Höhle Abisso Bueno Fonteno vor, um Ottavia Piana zu bergen. © dpa
Die Hobbyforscherin Ottavia Piana im Gebirge. Kollegen beschreiben sie als „sehr kompetent“. © Tiziano Manzoni
Bergamo – Unter der Woche arbeitet Ottavia Piana als Sekretärin im Betrieb ihrer Familie bei Brescia. Jede freie Minute jedoch verbringt die 32-jährige Italienerin unter der Erde. Sie ist Hobby-Höhlenforscherin und beteiligt an einem Großprojekt namens „Progetto Sabino“. Dabei haben sich einige Forscherclubs in Norditalien zusammengeschlossen, um eine spektakuläre Karsthöhle zwischen Iseosee und Lago di Endine zu erforschen. Für ihre Leidenschaft zahlt Piana nun einen hohen Preis. Seit Samstagabend steckt sie schwerverletzt in der Karsthöhle „Abisso Bueno Fonteno“ in der Provinz Bergamo fest. Es ist bereits ihr zweiter Unfall dort.
Ein Team von etwa 100 Ärzten, Rettungs- und Bergungskräften ist seit Sonntag dabei, die Frau aus der Höhle zu retten. Die Bergung ist schwierig, weil der Gang, in den sich Piana vorgearbeitet hat, bislang unerforscht war. Piana befindet sich in rund 400 Metern Tiefe, am Montag wurde sie per Trage bereits einen Kilometer Richtung Ausgang transportiert. Vom Höhleneingang ist sie noch etwa drei Kilometer entfernt. Das Problem: Weil sie sich beim Sturz aus fünf Metern Höhe auf den Rücken Verletzungen und womöglich Brüche im Gesicht, an Wirbelsäule, Rippen und Knie zuzog, kann sie nur auf der Trage heraustransportiert werden. Der Weg ist dafür aber an vielen Stellen zu eng.
Der Unfall hatte sich am Samstagabend zugetragen. Piana war mit acht Kollegen unterwegs, diese alarmierten sofort die Bergrettung. Am Sonntag erreichten Ärzte die Verunglückte unter der Erde. Sie legten die Frau, die immer wieder ohnmächtig wurde, auf eine Trage, versorgten sie mit Medikamenten, Wasser, Nahrung und Wärmedecken. Am Unfallort liegt die Temperatur bei acht Grad Celsius, die Luftfeuchtigkeit ist extrem hoch. Mehrere Ärzte wechseln sich an der Seite Pianas ab. Währenddessen bereiten Experten des Nationalen Berg- und Höhlenrettungskorps (CNSAS) die Bergung vor.
Am Montag begannen Rettungskräfte mit der Sprengung einiger Engpässe, um Platz für die Trage mit der Verletzten zu machen. Auch Presslufthammer sollen zum Einsatz kommen. „Es wird schwierig werden, Ottavia bis Dienstag aus der Höhle zu holen“, sagte Corrado Camerini vom CNSAS. „Über den Teil der Höhle, in dem sie sich befindet, ist nichts bekannt.“ Piana entdeckte den Höhlenstrang offenbar selbst. Beim Versuch, den Gang zu kartografieren, stürzte sie ab.
Die Bergungskräfte haben im Inneren der Höhle ein Basislager eingerichtet. Bereits der Höhleneinstieg ist für Laien kompliziert, da man auf schlammigem Boden durch einen sehr engen Kanal kriechen muss. Es sollen Sauerstoffflaschen herbeigeschafft worden sein, ein Ventilator für warme Luft sowie ein langes Kabel, um eine Telefonleitung zu legen. Nach Angaben des Arztes Rino Bregnani soll die Italienerin gesagt haben: „Ich werde nie mehr in eine Höhle gehen.“
Einer der Begleiter Pianas, der Hobby-Speläologe Samuele Pendesini, bezeichnete Piana als „sehr kompetente Forscherin“. „Ottavia hatte den Höhlenzweig erst vergangene Woche entdeckt, nachdem ein unter Wasser stehender Höhlenteil (Siphon) geleert wurde“, berichtete ein anderer Begleiter. Bereits im Juli 2023 war Piana in derselben Höhle verunglückt. Beim Aufstieg auf dem Rückweg war in etwa 150 Metern Tiefe ein Fels abgebrochen und hatte die Italienerin am Bein verletzt. Etwa 60 Retter organisierten damals ihre Bergung, Piana wurde nach zwei Tagen aus der Höhle getragen. Nun dürfte es länger dauern.
JULIUS MÜLLER-MEININGEN