Juli 1956: Bewohner gehen über Trümmer ihrer völlig verwüsteten Ortschaft auf der Insel Santorini. © dpa
Bedrohtes Idyll: Die Postkarten-Motive von Santorini entsprechen gerade nicht der Stimmung. © IMAGO/Rainman
Athen – Bloß weg von hier. Mit allen Mitteln versuchen Bewohner und Besucher Santorinis gerade, die griechische Kykladeninsel zu verlassen. Vor den Reisebüros bilden sich seit dem Wochenende lange Warteschlangen. Die Plätze in den Flugzeugen der griechischen Fluggesellschaften Aegean und Sky Express werden knapp. Sie bieten mehrmals täglich Flüge nach Athen und anderswo an.
Die Passagier- und Autofähre Blue Star Chios war am Montag in der Früh ebenfalls proppenvoll. 1100 Passagiere setzten nach Piräus über. Das ist für diese Zeit, mitten im Winter, eine ungewöhnlich hohe Zahl. Das Gros der Passagiere, die die Insel verlassen, sind Bauarbeiter und Hotelangestellte. Zugleich blieben am Montag die Schulen auf Santorini sowie den Nachbarinseln Amorgos, Paros, Antiparos sowie Naxos aus Vorsichtsgründen geschlossen. Wer blieb, schlief in Autos.
Grund für all das ist eine Erdbebenserie, vor allem auf Santorin. Etwa zehn Beben pro Stunde wurden bis Montag registriert. Die meisten, zwölf an der Zahl, wurden in der Nacht auf Montag zwischen zwei und drei Uhr aufgezeichnet. In der Spitze erreichten sie eine Stärke von knapp fünf auf der Richterskala. Griechenlands führender Geologe Efthymios Lekkas sagte, folgende Erdbeben könnten durchaus eine Stärke von über fünf auf der Richterskala erreichen. Sein Kollege Kostas Papazachos sagte, das Worst-Case-Szenario sei „ein stärkeres Erdbeben der Stärke sechs und mehr“.
Die Behörden sind jedenfalls alarmiert. Bereits am Sonntag fand eine Sitzung in Athen unter Leitung von Premier Kyriakos Mitsotakis statt. „Alle Elemente der seismischen Aktivität werden untersucht. Die Maßnahmen, die bisher ergriffen werden, sind auf jeden Fall präventiv“, sagte Katastrophenschutz-Minister Vassilis Kikilias nach der Sitzung. Einheiten des Katastrophenschutzes wurden vorsorglich nach Santorini geschickt, auch das Militär bereite sich auf einen möglichen Hilfseinsatz vor, berichtete der Nachrichtensender ERTnews. Santorini ist für Griechenlandfans das ultimative Urlaubsparadies. Doch der Schein trügt. Unter dem Meeresboden steigt flüssiges Magma auf und staut sich in einer riesigen Blase. Experten warnen von einer „ernsten Gefahr“: Sie rechnen mit einem verheerenden Vulkanausbruch.
Das liegt an Kolumbos, einem Unterwasservulkan, der sieben Kilometer nordöstlich von Santorini liegt. 1649 stieg Kolumbos, begleitet von zahlreichen Erdbeben, aus dem Meer auf. Im Jahr darauf brach er aus. Er stieß über Monate Rauch und Asche aus, die kilometerweit in den Himmel stiegen. Der folgende Tsunami richtete selbst auf mehr als 100 Kilometern entfernten Ägäisinseln große Schäden an. Vor knapp 70 Jahren hatten zwei Beben der Stärke 7,7 und 7,2 sowie die darauffolgenden Tsunamis in der Region dutzende Opfer gefordert und schwere Schäden verursacht. Die Zeitung „Ta Nea“ titelte am Montag schon: „Der Albtraum von 1956 kehrt zurück“.
Heute liegt der Kraterrand des Unterwasservulkans an manchen Stellen nur 17 Meter unter dem Meeresspiegel, sein Krater reicht 500 Meter tief. Über 300 Jahre lang schien der Vulkan zu schlafen. Nun verdichten sich die Anzeichen, dass Kolumbos erwacht. Käme es zu einem Ausbruch, wären die Folgen noch viel zerstörerischer als 1649. Denn Santorini ist heute viel dichter besiedelt. Die 76 Quadratmeter große Insel hat rund 15 000 Einwohner und zählt weit über eine Million Gäste pro Jahr. Keine andere griechische Insel wird von Kreuzfahrtschiffen so häufig besucht.
FERRY BATZOGLOU