Der Werwolf von Hannover: Fritz Haarmann (M.) ermordete in den 1920er-Jahren mindestens 24 Menschen. © dpa
Hannover – In der Nacht starrten ihn beleuchtete Schädel aus den Ecken seiner Gefängniszelle an, die Augenhöhlen mit rotem Papier beklebt. In einem Winkel der Zelle lag ein Sack mit Menschenknochen. Derart mürbe gemacht, gab Fritz Haarmann die grausige Wahrheit schließlich zu: Er war es, der als „Werwolf von Hannover“ mindestens 24 Jungen und junge Männer bestialisch getötet hatte.
Doch so schaurig es war, bald sang man auf der Straße Lieder über den unheimlichen Mörder, zu einer damals populären Schlagermelodie: „Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt Haarmann auch zu dir.“ Vor 100 Jahren wurde der Serienmörder hingerichtet.
„Dieser Fall ist für mich immer ein gewisses Rätsel geblieben“, sagte der wissenschaftliche Leiter des Polizeimuseums Niedersachsen in Nienburg, Dirk Götting. Es sei eigenartig, dass der Fall des pädophilen Serienmörders „über die Jahre einen solchen Status bekommen“ habe: „Es ist immer ein mediales Großereignis gewesen.“ Eine morbide Faszination bleibt – offensichtlich.
Denn der beispiellose Fall fesselt wohl auch Künstler – Götz George verkörperte Haarmann 1995 in dem preisgekrönten Kinofilm „Der Totmacher“, entstanden anhand der protokollierten Gespräche, die der Psychiater Ernst Schultze mit Haarmann führte. Am Schauspiel Hannover gab es ein Musical, der Fall Haarmann wurde darüber hinaus literarisch verarbeitet, etwa als Graphic Novel. In Hannover gibt es zudem Stadtführungen auf den Spuren des 1879 geborenen Verbrechers.
Schon früh wurden die unfassbaren Verbrechen Haarmanns auf Ausstellungen präsentiert: 1926 gab es eine große Polizeiausstellung in Berlin – dort zeigte die Polizei Hannover das Haarmann-Zimmer aus der Straße Rote Reihe, wie Götting sagte. Unter anderem an dieser Adresse in Hannover wohnte der Serienmörder.
Was weiß man über den Fall? Zwischen 1918 und 1924 ermordete der polizeibekannte Kriminelle männliche Kinder und junge Männer im Alter zwischen 10 und 22 Jahren. Haarmann erdrosselte seine Opfer oder biss ihnen – womöglich in Ekstase – die Halsschlagader durch. Viele waren Ausreißer und wurden in den Wirren der Nachkriegszeit zunächst nicht vermisst. Die Leichen zerstückelte er und warf sie in die Leine, die Kleidung verkaufte er. Als Kinder am Ufer der Leine im Frühjahr 1924 Knochen fanden, waren dies erste Hinweise auf die Mordserie.
Am 22. Juni 1924 wurde er festgenommen – zunächst nur, weil er mit einem Jugendlichen in Streit geraten war. Die Polizei fand bei der Durchsuchung seiner Wohnung Hinweise auf die Verbrechen, darunter Blutspuren und blutbefleckte Kleidungsstücke. Allerdings gab es lange vorher Hinweise – zum ersten Mord Haarmanns soll es schon 1918 gekommen sein. Nur: Hinweise aus der Bevölkerung kannte man nicht im Kaiserreich, sie wurden nicht ernst genommen.
Dazu kam: Der Kleinkriminelle diente der Polizei als Spitzel. Haarmann versorgte die Behörde mit Informationen aus dem Rotlichtmilieu. Hinweisen auf Haarmann als Täter ging die Polizei daher zunächst nicht nach – man kannte sich schließlich. Erst als die Beweise eindeutig waren, wurde er festgenommen.