Sabina Rieger hat zwei Menschen aufgenommen.
Gesteinsmassen bedrohen den kleinen Ort. © Zingaro/dpa
Eine Kuh wird per Helikopter ausgeflogen. © Klaunzer/dpa
Das Dorf Blatten im Lötschental: Der Ort, der in den vergangenen Tage evakuiert wurde, liegt am Fuße des Kleinen Nesthorns. © Zingaro/dpa
Blatten – Das Grummeln des Berges ist unüberhörbar: Wie ein Güterzug donnert es durchs Lötschental, wenn das Kleine Nästhorn bebt. Seit einer Woche geht das hier im Wallis so – und seit drei Tagen ist das Dorf Blatten menschenleer, nachdem es in höchster Eile evakuiert werden musste. „Die Frage ist nicht, ob der Abbruch kommt, die Frage ist nur wann“, sagt Hotelbesitzerin Helene Bellwald, die um ihre Heimat bangt.
Hinter Wiler ist die Welt im Lötschental zu Ende: Gemeindemitarbeiter bewachen den Schlagbaum, Helikopter der Air Zermatt fliegen die letzten Kühe aus dem Tal heraus. Am Montag strandeten 16 Schulkinder bei Gastwirt Ambros Henzen (60) im Restaurant „Lonza“: „Ich habe ihnen was zu essen gemacht“, berichtet er der tz. „Die Solidarität ist riesig, wir halten hier zusammen.“
In der Ferienwohnung von Sabina Rieder (82) sind zwei von 300 Menschen aus Blatten untergekommen. Wenn sie zum regengrauen Himmel schaut, sieht sie gelbe Staubwolken: „Ich bin hier geboren, aufgewachsen – aber so etwas hat es noch nie gegeben.“ Unter Naturkatastrophen verstand man bisher Lawinen wie im Winter 1999 – damals mussten sogar 2500 Feriengäste evakuiert werden. Diesmal waren nur ein paar deutsche Touristen in Blatten, die überstürzt die Heimreise antreten mussten.
Nun gelten die bangen Blicke vor allem dem Birchgletscher unterhalb des 3100 Meter hohen Gipfels. „Der Berg ist ziemlich zerrissen“, sagt Geologe Alban Brigger. Bisher sind bereits zwei Millionen Kubikmeter Gestein abgebrochen und haben sich auf dem Gletscher angesammelt. „An der Gletscherfront sehen wir Eisabbrüche, aktuell hat sich die Geschwindigkeit auf 0,8 bis 1 Meter pro Tag erhöht.“ Wenn dieses 65 Fußballfelder große Gletschergebiet abrutscht, könnte Blatten von bis zu 6 Millionen Kubikmetern Felsen verschüttet, der Bach Lonza aufgestaut und weitere Gemeinden bedroht werden.
Im Moment erschwert der Nebel die Beurteilung der Lage. Ein GPS-System wurde durch die Steine zerstört, die einzigen Daten liefert ein Radarsystem und eine Wärmebildkamera. Daraus schöpfen die Experten die Hoffnung, dass es mit Teilabbrüchen und keinem gigantischen einmaligen Abbruch weitergehen wird. „Das wäre unser letzter Wunsch“, sagte Brigger, der den Dorf-Bewohnern auch Hoffnung auf eine baldige Rückkehr macht.