Alberto Stasi, der verurteilte Ex-Freund. © Furlan/dpa
Garlasco – Blutüberströmt liegt Chiara Poggi am Fuße der Kellertreppe, getötet in ihrem Elternhaus in der Nähe von Mailand. Sie ist 26 Jahre alt, als sie 2007 mit einem harten Gegenstand totgeschlagen wird. Das Verbrechen schockt Italien. Ihr damaliger Freund Alberto Stasi wird nach einem langen Prozess über alle Instanzen als Täter verurteilt und muss ins Gefängnis.
Doch nun rüttelt der Fall die italienische Öffentlichkeit erneut auf. Denn die Carabinieri und die Staatsanwaltschaft ermitteln wieder. Es gibt neue Spuren. Und mindestens einen neuen Verdächtigen. Möglicherweise ist in einem kleinen Bach auch die von Anfang an verschollene Tatwaffe aufgetaucht.
Alberto Stasi hatte all die Jahre vergeblich seine Unschuld beteuert. Steht der Mordfall Poggi nun vor einer spektakulären Wende?
Drei mit Spannung erwartete Anhörungen waren geplant: Stasi selbst, Poggis jüngerer Bruder Marco sowie dessen Jugendfreund Andrea S. wurden diese Woche zeitgleich von Staatsanwälten vorgeladen. Dutzende Journalisten warteten am Dienstag in Pavia – einer Stadt südlich von Mailand – und in Venedig, um die drei Männer oder deren Anwälte für Kommentare abzufangen.
Im Fokus stand vor allem der Freund des Bruders: Gegen ihn wird seit einigen Wochen offiziell ermittelt. Zur Befragung in Pavia erschien er dann aber nicht. Auch seine Anwälte tauchten nicht auf. Sie begründeten das mit fehlerhaften Vorladungen der Strafverfolger.
Kurz darauf sorgte ein Medienbericht des Senders Rai für mächtig Aufsehen, wonach Ermittler Fingerabdrücke vom Tatort neben der Leiche ebenjenem Andrea S. zuordnen können. Am Mittwoch bestätigte die Staatsanwaltschaft die Spur offiziell. Möglich wurde die Zuordnung durch den Einsatz neuer forensischer Technik – sowohl in der Software- als auch in der Hardwareanalyse.
„Wir sind gerade dabei, die Geschichte neu zu erzählen“, sagte Antonio De Rensis, Stasis Anwalt, vor Journalisten und Kamerateams. „Wir haben von Anfang an Vertrauen in die Ermittlungen gehabt und tun dies weiter, und das sogar immer mehr.“ Sein Mandant, der inzwischen als Freigänger das Gefängnis auch verlassen kann, sei entspannt, ergänzte der Jurist.
Schon der juristische Weg hin zur Verurteilung des heute 41-jährigen Stasi war ein holpriger. Nach dem Verbrechen am 13. August 2007 in dem Ort Garlasco sprachen ihn zwei Instanzen zunächst wegen Mangel an Beweisen frei. Der Oberste Gerichtshof kassierte das Urteil aber und ordnete einen neuen Prozess mit einer erneuten Überprüfung der Beweise an. Dort kam es zu Schuldsprüchen wegen vorsätzlicher Tötung. Im Dezember 2015 bestätigte der Oberste Gerichtshof letztinstanzlich das Urteil von 16 Jahren Haft. Stasi musste ins Gefängnis. Dass unter den Fingernägeln von Chiara Poggi Spuren einer DNA gefunden wurden, die zu einer anderen Person gehören, reichte im Dezember 2016 nicht aus, um das Verfahren neu aufzurollen.