Tatort Hauptbahnhof: Polizei und Spurensicherung im Einsatz an Gleis 13. © Georg Wendt/dpa
München/Hamburg – Es ist nicht das erste Mal, dass Muhammad Al Muhammad traumatische Szenen aus der Nähe erlebt. Der junge Syrer stammt aus einem Vorort von Aleppo, der zweitgrößten Stadt seines Heimatlandes und während des Bürgerkriegs immer wieder Schauplatz schwerster Kämpfe. Heute sind weite Teile der Stadt zerstört und viele Bewohner geflüchtet. So wie Al Muhammad.
Der 19-Jährige lebt mittlerweile in der Nähe von Hamburg, am Freitag besucht er einen Freund in der Hansestadt. Als er am Abend den Zug zurück nach Buchholz nehmen will, fällt ihm am Hauptbahnhof eine Frau auf, die ein Messer hält, sich durch die Menschenmenge bewegt und dabei offenbar wahllos auf Personen einsticht. Insgesamt verletzt Lydia S. auf ihrem Weg 18 Männer und Frauen, davon sieben schwer, vier lebensgefährlich. Mittlerweile befinden sich laut Polizei alle in einem „stabilisierten Zustand“. Einige Verletzte haben die Kliniken bereits wieder verlassen.
Al Muhammad ist einer von zwei Passanten, die die Täterin stoppen und überwältigen. Dem „Spiegel“ hat er in einem Telefonat von den dramatischen Momenten berichtet. Als die meisten Menschen panisch in eine Richtung gelaufen seien, weg von der Täterin, habe er sich entschieden, „in die andere Richtung zu rennen“. Als er bei Lydia S. ankam, habe sie sich bereits auf dem Boden befunden. Ein Tschetschene habe sie mit einem Tritt gegen das Knie zu Fall gebracht. „Ich habe sie festgehalten und habe ihre Hände auf ihren Rucksack gepresst, damit sie nicht mehr aufstehen kann“, berichtete er dem Magazin. In gebrochenem Deutsch habe er ihr immer wieder gesagt: „Wenn du aufstehen, ich schlage.“
Das Messer sei zu diesem Zeitpunkt bereits außer Reichweite gewesen, die Frau habe keinen Widerstand geleistet. Nach rund zwei Minuten seien Polizisten eingetroffen. Er habe ihre Waffen gesehen und sich „mit erhobenen Händen von der Frau entfernt“, sagt Al Muhammad, der offenbar dem Eindruck entgegenwirken wollte, er habe etwas mit der Gewalttat zu tun. Die Beamten hätten ihn für seine Aussage mit zur Wache genommen. „Die Polizei hat sich bei mir bedankt und hat mir einen Cappuccino ausgegeben.“ Über die freundliche Geste habe sich der Syrer, der vom zufälligen Zeugen zum Helden wurde, sehr gefreut.
Die mutmaßliche Täterin Lydia S. ist am Samstag in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen worden. Der Haftrichter habe einem entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft Hamburg zugestimmt, teilte die Polizei mit. Nach bisherigen Erkenntnissen verfüge die 39-Jährige, die aus Niedersachsen stammt, über keinen festen Wohnsitz. Es bestünden „inzwischen sehr konkrete Hinweise auf eine psychische Erkrankung“ und „keine Anhaltspunkte für eine politische Motivation“. Laut „Bild“ war sie erst einen Tag vor der Tat aus der Psychiatrie entlassen worden.
MARC BEYER