Die Mutter aller Monster

von Redaktion

50 Jahre „Der weiße Hai“: Zum Jubiläum läuft Spielbergs Thriller wieder im Kino

Ikonisch: Das „Jaws“-Plakat hat Kultstatus. © IMAGO

Nachhaltige Wirkung: Der Film löste bei vielen Zuschauern Urängste vor dem Schwimmen im Meer aus. © imago

Das Hai-Modell „Bruce“ versank gleich zu Beginn der Dreharbeiten im Meer. Deshalb ist der Hai im Film nur selten zu sehen. © Universal Pictures/dpa

Los Angeles – Als vor 50 Jahren „Der weiße Hai“ herauskam, war die deutsche Kinolandschaft noch nicht von großen Multiplex-Centern, sondern von vielen kleineren „Lichtspielhäusern“ geprägt. Wichtige Werbeträger waren Plakate und Szenenfotos, die im Eingangsbereich ausgestellt waren. Das Plakat von „Der weiße Hai“ gehört zu den einprägsamsten überhaupt: ein Hai-Kopf mit geöffnetem Maul unter einer schwimmenden Frau.

Zum 50. Leinwandjubiläum (Kinostart in den USA war am 20. Juni 1975) bringt Universal Pictures den Film dieses Jahr in ausgewählte Kinos zurück.

In Kombination mit den veröffentlichten Szenenbildern konnte man sich vor 50 Jahren die Schrecken des Films als westdeutsches Grundschulkind lebhaft ausmalen. Der Besuch des Films war unmöglich – es gab eine Altersbeschränkung ab 16 – aber die Bilder setzten ein Kopfkino in Gang.

Ohne es zu wissen, kam man der Quintessenz des Films damit schon sehr nahe: Denn in den ersten 80 Minuten ist der Hai selbst kaum zu sehen. Der damals erst 28-jährige Regisseur Steven Spielberg setzte auf eine altbekannte Erkenntnis des Horror-Genres: Angst wird nicht durch das erzeugt, was man sieht, sondern durch das, was man erahnt. Dementsprechend beschränkte er sich weitgehend auf Andeutungen, etwa durch die Musik von John Williams mit dem alarmierenden „Daa-dam, Daa-dam“. Oder durch Unterwasseraufnahmen aus der Perspektive des Hais.

Dieses Stilelement macht den Reiz des Films wesentlich aus – genutzt wurde es allerdings großenteils aus reiner Verlegenheit. Die siebeneinhalb Meter lange, sündhaft teure mechanische Hai-Attrappe, die für den Film gebaut worden war, funktionierte nämlich nicht.

„Bruce“, wie Spielberg das Modell nach seinem Anwalt nannte, versank zu Beginn der Dreharbeiten gluckernd im Meer. „Der Schwanz schaute aus dem Wasser und wedelte wie Flipper“, erinnerte sich Spielberg später in einem TV-Interview. Nun musste er also einen Hai-Film ohne Hai drehen. Und als er ihn irgendwann wiederbekam, schielte er, und der Kiefer schloss nicht richtig. Spielberg befürchtete, dass „Bruce“ zur Lachnummer werden würde, und entschloss sich deshalb, ihn so wenig wie möglich zu zeigen. Der Regisseur befürchtete einen Riesen-Flop.

Die Dreharbeiten im Sommer 1974 vor der Ostküsten-Insel Martha‘s Vineyard erwiesen sich als ungeheuer nervenaufreibend. Nicht nur, dass die Schauspieler seekrank wurden. Es war Regatta-Saison, was dazu führte, dass ständig irgendein Segelboot am Horizont auftauchte.

So verdreifachte sich die Zahl der Drehtage ebenso wie die Kosten. Er sei überzeugt gewesen, dass dies das Ende seiner Karriere bedeuten würde, sagt Spielberg. Tatsächlich spielte „Der weiße Hai“ seine Produktionskosten x-fach wieder ein, er wurde der bis dato erfolgreichste Film der Kinogeschichte. Im Rückblick gilt er als Geburtsstunde des Sommer-Blockbusters.

Die wohl nachhaltigste Wirkung hat der Film dadurch entfaltet, dass er bei vielen Urängste vor dem Schwimmen im Meer aktivierte. Es ist die Paranoia, nicht zu wissen, was sich unter der Wasseroberfläche befindet. „Sehen Sie sich diesen Film an, bevor Sie schwimmen gehen“, hieß es in der Werbung. Zugleich wurden Haie dämonisiert, was zur Dezimierung der Bestände beitrug.

In den vergangenen Jahren hat sich das Bild glücklicherweise gewandelt: Millionenfach geteilte Filme in den Sozialen Netzwerken zeigen Taucher, die ohne Schutz mit Weißen Haien schwimmen und diese sogar berühren.

Hier wird deutlich, dass Steven Spielbergs Killerfisch kaum realer ist als der T-Rex aus „Jurassic Park“, den er 20 Jahre später auf die Leinwand brachte. Den Monstern ist er treu geblieben – aber einen Film auf dem Wasser hat er nie wieder gedreht.

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