Erlangen – Der historische Erfolg der Erfinder des MP3-Formats war eine Kombination aus Vision, Überstunden und Sturheit – sowie einer gehörigen Portion Glück. Vor 30 Jahren, am 14. Juli 1995, trat mit MP3 ein neues Dateiformat an, die Welt des Musikhörens und des Musikgeschäfts zu revolutionieren. An diesem Tag trafen Forscher des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen in Erlangen die Entscheidung, ihre Erfindung zur Audiokomprimierung auf die Dateiendung „.mp3“ zu taufen. 30 Jahre später ist Musik-Streaming allgegenwärtig. Doch erst die in Erlangen erfundene Komprimierung machte es möglich, Musik aus dem Internet zu hören.
Die Ursprünge des MP3-Projekts reichen bis in das Jahr 1982 zurück. Damals ging es darum, Musikdateien so kleinzumachen, dass man sie in ordentlicher Qualität über eine digitale Telefonleitung (ISDN) übertragen kann. Der Student Karlheinz Brandenburg machte die scheinbar unlösbare Aufgabe zum Thema seiner Doktorarbeit am Lehrstuhl für Technische Elektronik in Erlangen.
Brandenburg war sich anfangs über die Tragweite seiner Forschung nicht ganz sicher. Belegt ist ein Ausspruch von ihm aus dem Jahr 1988: „Entweder meine Dissertation verstaubt in der Bibliothek oder die Technik wird ein Standard, der von Millionen Menschen genutzt werden wird.“ Tatsächlich hat der von ihm maßgeblich mitentwickelte Standard „MPEG Layer-3“ (MP3) den Musikkonsum von Milliarden beeinflusst.
Die Entwicklungsarbeit von Brandenburg und Forschern wie Heinz Gerhäuser, Harald Popp, Stefan Krägeloh, Harmut Schott, Berhard Grill, Ernst Eberlein, sowie Thomas Sporer sollte nämlich nicht nur die Rundfunktechnik grundlegend erneuern, sondern in der Musikindustrie den Anfang vom Ende der Compact Disc (CD) einleiten. Der Erfolg hält bis heute an: ob beim Streaming, im Digitalradio, im digitalen Fernsehen oder bei Videotelefonaten wie Apples Facetime – überall wird eine Form des MP3-Nachfolgers AAC eingesetzt.
Aber wie war es überhaupt möglich, Musikdateien stark zu verkleinern, ohne dass sie für das menschliche Ohr deutlich schlechter klingen? Die Forscher in Erlangen nutzten beim MP3-Verfahren die Tatsache aus, dass das menschliche Ohr viele Details in der Musik oder anderen komplexen Geräuschen gar nicht wahrnimmt. Manche Töne sind zu leise oder werden von lauteren Tönen überdeckt. Der Wecker tickt weiter, auch wenn er klingelt. Man hört das Ticken dann allerdings nicht mehr.
Beim Umwandeln in eine MP3-Datei werden genau die Teile der Musik entfernt beziehungsweise vereinfacht, die der Mensch vermutlich ohnehin nicht hören kann. Nur das, was für das menschliche Gehör wichtig ist, bleibt erhalten. Eine Musikdatei kann so auf etwa ein Zehntel ihrer ursprünglichen Größe schrumpfen, ohne dass der Klang für die meisten Menschen merklich schlechter wird. Musik-Puristen wie der kanadische Sänger Neil Young bestreiten das allerdings.
MP3-Miterfinder Karlheinz Brandenburg kann die Kritik am Original-MP3 noch halbwegs nachvollziehen. Die neuen MP3-Codes wie AAC seien bei höheren Datenraten aber inzwischen so gut, dass sie vom menschlichen Ohr nicht von analogen Soundübertragungen etwa von Vinyl-Schallplatten zu unterscheiden seien.