Die Anwälte von Palliativarzt Johannes M., der zum Fototermin nicht im Saal war. © Schwarz/AFP
Berlin – Er soll sich als Herr über Leben und Tod geriert haben: Fast ein Jahr nach seiner Verhaftung steht ein Palliativarzt in Berlin wegen 15-fachen Mordes vor Gericht. In schwarzem Sakko und weiß gemustertem Hemd sitzt er im Saal 700 hinter seinen drei Verteidigern. Aufmerksam, äußerlich regungslos verfolgt er, wie Staatsanwalt Philipp Meyhöfer die Anklage mit perfiden Details verliest, ab und an blickt er während der rund 20 Minuten auf. Zu den Vorwürfen schweigt der 40-Jährige mit den dunkelblonden, kurzen Locken. „Unser Mandant wird zunächst keine Erklärung abgeben“, sagte Verteidiger Christoph Stoll in dem voll besetzten Saal. Der Prozess vor dem Landgericht Berlin gegen den deutschen Arzt begann unter großem Medien- und Publikumsandrang. 13 Angehörige von Gestorbenen sind nach Gerichtsangaben bislang als Nebenkläger vertreten. Drei von ihnen sind persönlich erschienen. Die Mutter des jüngsten Opfers aus Guinea verfolgte unter Tränen den Verfahrensauftakt. „Geliebte Angehörige sind zu Tode gekommen. Das wollen sie hier verhandelt wissen“, sagte einer der Nebenkläger-Anwälte. Die Angehörigen seien teils traumatisiert. Es bestehe großer Aufklärungsbedarf.
Die Staatsanwaltschaft Berlin wirft dem promovierten Mediziner Mord aus Heimtücke und sonstigen niedrigen Beweggründen vor. Sie hat zunächst in 15 Fällen Anklage erhoben. Parallel laufen jedoch die Ermittlungen weiter. Aktuell gibt es noch 71 Fälle, in denen ein Anfangsverdacht besteht. Auch der Tod der krebskranken Schwiegermutter des Arztes gehört dazu, wie Sprecher Sebastian Büchner sagte.
Insgesamt hat die für den Fall eingerichtete Ermittlungsgruppe hunderte Unterlagen von Patienten des Mediziners ausgewertet. Bislang wurde in 15 Fällen veranlasst, dass Leichen ausgegraben und rechtsmedizinisch untersucht wurden. In einem Fall stehe solch eine Exhumierung noch aus, so Büchner.
Der Arzt soll die Taten im Rahmen seiner Tätigkeit für zwei Pflegedienste in Berlin begangen haben. Palliativärzte begleiten schwerstkranke Menschen, um deren Schmerzen zu lindern. Diese Vertrauensstellung soll der verheiratete Vater eines Kindes ausgenutzt haben. Teils unangekündigt suchte er die Betroffenen auf, meist waren die Patienten allein, so die Staatsanwaltschaft. In einigen Fällen legte der Mediziner laut Ermittlungen Brände, um die Taten zu vertuschen. Das Gericht hat für den Prozess zunächst 35 Verhandlungstermine bis zum 28. Januar 2026 geplant. Zu jedem Fall gibt es mehrere Zeugen, insgesamt könnten rund 150 Menschen vor Gericht gehört werden.
Die Staatsanwaltschaft strebt gegen den 40-Jährigen neben einer Verurteilung die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld und eine anschließende Sicherungsverwahrung an. Außerdem soll der Arzt ein lebenslanges Berufsverbot bekommen. Bestätigen sich die Vorwürfe, könnte der Fall einer der größten bundesweit sein. Bislang gilt eine Mordserie in Niedersachsen mit 85 Opfern als die wohl größte der deutschen Nachkriegsgeschichte.