Die Angst vor der Altersdepression

von Redaktion

Nach der Erkrankung von Wolfgang Grupp: Experte im Interview

PD Dr. Jens Benninghoff. © Foto: Jens Hartmann

Der ehemalige Trigema-Chef Wolfgang Grupp mit seiner Frau Elisabeth und den Kindern Wolfgang (li.) und Bonita, die heute das Unternehmen leiten. © Stiefler/babiradpicture/

Leipzig – Die Bestürzung ist groß: Am Donnerstag ging der ehemalige Trigema-Boss Wolfgang Grupp mit einem Brief an die Öffentlichkeit, in dem er von Altersdepressionen und einem Suizidversuch berichtet. „Ich habe versucht, mein Leben zu beenden“, schrieb der 83-Jährige. Er sei „im 84. Lebensjahr und leide an sogenannten Altersdepressionen. Da macht man sich auch Gedanken darüber, ob man überhaupt noch gebraucht wird“, schrieb Grupp. Deswegen habe er vor versucht, sein Leben zu beenden.

So wie Wolfgang Grupp geht es vielen Menschen, denn Altersdepression ist eine Erkrankung, die viele betrifft. Sie wird aber selten offen thematisiert. Laut der Stiftung Deutsche Depressionshilfe gehören Depressionen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen im höheren Lebensalter – zusammen mit demenziellen Störungen. Das Suizidrisiko steigt mit zunehmendem Alter deutlich an, vor allem bei Männern.

Rund sechs Prozent der 70- bis 79-Jährigen erkranken laut Robert-Koch-Institut jährlich an einer Depression. Subklinische Depressionen – also solche mit abgeschwächter oder unvollständiger Symptomatik – sind im Alter sogar zwei- bis dreimal so häufig. Und doch bleibt die Diagnose oft aus.

Auch bei Wolfgang Grupp haben viele Menschen in seinem Umfeld nichts von der Erkrankung gemerkt. Mit seinem Schritt an die Öffentlichkeit will Grupp vor allem eines erreichen: Andere Betroffene ermutigen, dass sie sich Hilfe holen: „Bitte an alle, die an Depressionen leiden: Suchen Sie professionelle Hilfe und begeben Sie sich in Behandlung.“ Die Robert-Enke-Stiftung, eine Einrichtung, die Menschen mit Depressionen hilft, hat in sozialen Netzwerken Wolfgang Grupp für seinen offenen Umgang mit seiner Erkrankung gedankt.

Aber woran erkennt man, ob man einfach nur nicht gut drauf, sondern schon krank ist? Wir sprachen PD Dr. Jens Benninghoff, Chefarzt des Zentrums für Altersmedizin und Entwicklungsstörungen am kbo-Klinikum München-Ost und Sprecher der Europäischen Gerontopsychiater, über die wichtigsten Fragen zum Thema Altersdepression:

Herr Grupp behielt seine Altersdepression lange für sich. Ist das typisch?

Ja. Es dauert oft länger als bei jüngeren Menschen mit Depressionen, bis sich ältere Betroffene Hilfe holen – gerade bei jenen, die erst im Alter erstmals mit solchen Problemen konfrontiert werden. Viele altersdepressive Patientinnen und Patienten haben ein Schamgefühl, sich jemandem anzuvertrauen oder gar zum Psychiater zu gehen. Sie machen ihre Probleme mit sich aus – nach der Devise: Ich bin mit allem im Leben klargekommen, das kriege ich auch alleine hin. Aber irgendwann ist die Batterie halt einfach leer.

Wie äußert sich eine Altersdepression?

Anders als eine Depression in früheren Lebensabschnitten. Während in jüngeren Jahren eher Niedergeschlagenheit, Antriebsarmut und der Verlust von Lebensfreude das Krankheitsbild prägen, zeigt sich bei der Altersdepression oft eine Überbewertung von kleineren körperlichen Einschränkungen. Dabei geht es beispielsweise häufig um Schwindel oder Probleme beim Toilettengang. Altersdepressive fühlen sich plötzlich nicht mehr leistungsfähig, sie geraten in eine regelrechte Grübelspirale, aus der sie nicht mehr herauskommen.

Wer ist besonders gefährdet?

Alleinlebende ältere Männer. Sie haben mitunter wenige soziale Kontakte und Schwierigkeiten, über ihre psychischen Probleme zu sprechen.

Auf welche Alarmsignale sollten Angehörige und Freunde achten?

Darauf, dass sich ein älterer Mensch plötzlich zurückzieht, Dinge nicht mehr tut, die ihm bzw. ihr früher Spaß gemacht haben, beispielsweise nicht mehr zum Karteln oder zum Stammtisch geht oder nicht mehr am Vereinsleben teilnimmt. Auch langes Grübeln vorm Einschlafen ist auffällig.

Was können nahestehende Menschen tun, um zu helfen?

Das Thema offen ansprechen -–ungefähr in dem Tenor: Ich habe das Gefühl, du hast dich verändert, wie kann ich dir helfen? Man darf durchaus auch mal einen Termin beim Psychiater empfehlen. Denn Psychiater können bei einer Altersdepression am besten helfen.

Wie lässt sich die Erkrankung behandeln?

Mit Psychotherapie. Sie hilft im Alter genauso wie in anderen Lebensabschnitten. . Bei stärkeren Symptomen kommen Antidepressiva zusätzlich zum Einsatz, um die Wahrnehmung positiver Erlebnisse überhaupt erst wieder zu ermöglichen.

Wie stehen die Heilungschancen?

Die Prognose ist im Alter genauso gut wie in jüngeren Jahren. Auch nach einer Altersdepression kann wieder viel Licht ins Leben kommen.

INTERVIEW: A. BEEZ

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