Kathrin Pollnow und Klaus-Dieter Rose. © Kremer/dpa
Oschersleben – In nicht einmal zehn Minuten ist vorbei, worauf sie 885 Tage gewartet haben. Keine großen Worte des Standesbeamten. Als sie den Raum im Rathaus betreten, läuft leise Andy Borg: „Die berühmten drei Worte“. „Und klingt’s auch etwas pathetisch, ich mein es so, wie ich’s sag.“ Die Papiere sind vorbereitet. Die Unterschriften leisten sie selbst. Ein Verwaltungsakt – und doch so viel mehr. Um kurz nach 11 Uhr am 9. August 2025 sind Kathrin Pollnow und Klaus-Dieter Rose verheiratet. Vor ihnen, auf einem hellen Holzstück in Herzform liegen die Ringe, hinter ihnen eine lange juristische Auseinandersetzung.
Als Pollnow und Rose im März 2023 zum ersten Mal auf dem Standesamt sind und das Aufgebot bestellen wollen, gehen sie davon aus, schon bald verheiratet zu sein. Sie kennen sich seit rund 15 Jahren. Aber nur wenige Tage später kommt die Ablehnung der Amtshandlung, wie es bürokratisch heißt. Wegen fehlender Geschäftsfähigkeit könnten die beiden nicht heiraten.
Ein ziemlich einmaliger Vorgang. Es sei dabei um die Frage gegangen, ob sich die beiden der Tragweite einer Ehe bewusst seien, erzählt Annett Marziniak. Sie ist Teamleitung im Wohnbereich einer Einrichtung für behinderte Menschen, in der Pollnow und Rose leben. „Aber wer ist sich dessen schon bewusst?“
„Da hab ich gesagt: Wir bleiben da dran“, erzählt Kathrin Pollnow. Mit jedem weiteren Brief, der gekommen sei. Die 61-Jährige lebt schon lange im Matthias-Claudius-Haus, einer Einrichtung der Diakonie für Menschen mit Behinderungen. Sie arbeitet in der Hauswirtschaft, als sie Klaus-Dieter Rose (44) kennenlernt, der in der Küche hilft und das Essen ausfährt. „Ich mag es, dass wir uns verstehen und dass wir uns so liebhaben“, sagt Pollnow. „Genau, was sie sagt“, sagt Rose. Beiden ist wenige Tage vor der Hochzeit die Aufregung anzumerken.
Es folgen Monate voller Schriftverkehr. Betreuungsakten werden angefordert, medizinische Unterlagen, Gutachten erstellt. Der Landesbehindertenbeauftragte von Sachsen-Anhalt schreibt einen Brief: „Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verbietet jede Form der Diskriminierung.“
Es sei in Sachsen-Anhalt ein einmaliger Fall, sagt der Landesbeauftragte Christian Walbrach. Der Bundesvereinigung der Lebenshilfe ist ebenfalls kein ähnlicher Fall aus dem gegenwärtigen Deutschland bekannt, in dem einem Brautpaar die standesamtliche Trauung wegen einer Behinderung verwehrt worden sei.
Erst fast zwei Jahre nach dem ersten Termin beim Standesamt und einer persönlichen Anhörung durch die Präsidentin am Amtsgericht Magdeburg ergeht Anfang des Jahres der Beschluss, dass das Standesamt die Eheschließung durchführen muss. „Es zeigt sich, dass manchmal auch Barrieren in den Köpfen bestehen“, sagt Landesbehindertenbeauftragter Walbrach.