Papst Leo XIV. mit Geburtstagstorte. © Vatican Media/KNA
Vatikan – Papst Leo XIV. hat in seinem ersten offiziellen Interview harsche Kapitalismus-Kritik geübt. In einem bereits im Juli geführten und nun auszugsweise veröffentlichten Gespräch mit der Journalistin Elise Ann Allen beklagte der Papst „die immer größer werdende Kluft zwischen dem Einkommen der Arbeiterklasse und dem der Reichsten“. Vor 60 Jahren hätten CEOs „vielleicht vier- bis sechsmal mehr als die Arbeiter“ verdient. „Die letzte Zahl, die ich gesehen habe, liegt bei 600-mal mehr als der Durchschnittsarbeiter“, sagte Leo. Kürzlich habe ihn die Nachricht erreicht, dass Tesla-Chef Elon Musk „der erste Billionär der Welt sein wird“. „Wenn das das Einzige ist, was noch Wert hat, dann stecken wir in großen Schwierigkeiten“, sagte Leo XIV.
Damit nimmt das Oberhaupt der katholischen Kirche ein Thema auf, das er bereits seit Beginn seines Pontifikats betont. Wie es heißt, steht die erste Enzyklika Leos XIV. vor der Veröffentlichung, sie wird sich ebenfalls der sozialen Gerechtigkeit widmen. Der Papst hatte nach seiner Wahl am 8. Mai erklärt, dass er seinen Namen in Anlehnung an Leo XIII. (1878–1903) gewählt habe. Mit seiner Enzyklika „Rerum Novarum“ hatte der damalige Papst den Grundstein für die katholische Soziallehre gelegt. Leo XIV., der am Sonntag seinen 70. Geburtstag feierte und in den ersten vier Monaten seiner Amtszeit eher vorsichtig agiert, sieht sich in dieser Tradition. Die Kirche soll seiner Ansicht nach auf eine „neue industrielle Revolution“, deren soziale Folgen und die Entwicklung der künstlichen Intelligenz reagieren. Angesichts der Veröffentlichung seiner Biografie mit dem Titel „Leo XIV: Weltbürger, Missionar des 21. Jahrhunderts“ gab der neue Papst erstmals ein Interview. Die Biografie erscheint am 18. September auf Spanisch, Anfang 2026 dann auch auf Englisch und Portugiesisch.
Da der US-Amerikaner Leo XIV., mit bürgerlichem Namen Robert Francis Prevost, sich bislang sehr diplomatisch ausdrückt, war das Interview mit Spannung erwartet worden. Allerdings fehlen in der Vorabveröffentlichung des Interviews auf der Webseite Cruxnow.com Aussagen zu kontroversen Themen wie dem Umgang der Kirche mit sexuellem Missbrauch, der Rolle der Frauen in der Kirche, dem Gaza-Krieg oder der Stellung von Angehörigen der LGBTQ-Gemeinde in der Kirche. Im Hinblick auf die Ukraine hielt Leo XIV. an der umstrittenen Positionierung des Vatikans fest. „Der Heilige Stuhl hat sich seit Kriegsbeginn sehr bemüht, eine Position zu vertreten, die, so schwierig sie auch sein mag, nicht für die eine oder andere Seite ist, sondern wirklich neutral“, sagte Prevost. „Nach all den Jahren des sinnlosen Tötens von Menschen auf beiden Seiten“ müssten die Menschen „irgendwie wachgerüttelt werden“.
Die Rolle der Vereinten Nationen im Hinblick auf Friedensbemühungen auch in anderen Zusammenhängen sieht Leo XIV. kritisch: „Leider scheint es allgemein anerkannt zu sein, dass die UN zumindest zum jetzigen Zeitpunkt ihre Fähigkeit verloren haben, die Menschen in multilateralen Fragen zusammenzubringen.“ Die von Franziskus als Arbeits-Methode in der Kirche geförderte Synodalität könne auch ein Mittel für Konfliktlösung in der Politik sein. Synodalität sei eine Haltung, „die der Welt viel lehren kann“, sie sei „ein Gegenmittel“ zur gegenwärtigen Polarisierung. „Wenn wir auf das Evangelium hören, gemeinsam darüber nachdenken und uns bemühen, gemeinsam voranzuschreiten, einander zuzuhören und zu entdecken, was Gott uns heute sagen will, können wir viel gewinnen“, sagte der Papst. Synodalität bedeute für die Kirche aber nicht, sich „in eine Art demokratische Regierung zu verwandeln“. JULIUS MÜLLER-MEININGEN