München – Die Psychotherapeutin und Autorin Maria M. Bellinger sieht zu viel Perfektionismus bei deutschen Eltern. „Elternschaft ist für viele zu einem Projekt geworden, zu einer Lebensaufgabe, der man sich intensiv widmen will“, sagte die Autorin der „SZ“. Ein Stück weit sei die Selbstverständlichkeit verloren gegangen. Man bekomme heute nicht mehr beiläufig Kinder.
Früher hätten Vergleiche über die Elternschaft im Freundeskreis stattgefunden, „inzwischen finden die Vergleiche in den Sozialen Medien statt, und man bekommt dort präsentiert, wie scheinbar perfekt Familien funktionieren“. Das Problem dabei sei: „Je höher man die Latte hängt, desto eher reißt man sie.“
Dass bei Kindern heute häufiger psychische Erkrankungen diagnostiziert und therapiert würden, habe mehrere Gründe, so Bellinger. Zum einen seien da verunsicherte Eltern, die Dinge zur Sicherheit lieber abklären möchten. Zum anderen führten volle, durchgetaktete Tage dazu, dass Kinder und Jugendliche weniger Raum „für irgendeine Art von abweichendem Verhalten“ hätten, das schnell als „Störung“ etikettiert werde. Drittens seien psychische Erkrankungen heute weniger stigmatisiert, weshalb es Eltern und Kindern heute leichterfalle, über ihre Gefühle zu sprechen.
Gute Elternschaft sei vergleichbar mit Mitarbeiterführung: „Es geht um die Befähigung zu selbstverantwortlichem Handeln.“ Kinder sollten nur an den Entscheidungen beteiligt werden, zu denen sie altersentsprechend in der Lage seien. Eine zu frühe „Adultisierung“ sei nicht kindgerecht.
Die Psychologin warnte zudem vor einer Überbehütung. Dieser Effekt werde durch die sinkende Geburtenrate verstärkt. Eltern seien heute eher geneigt, kindliche Bedürfnisse sofort befriedigen zu wollen. Es sei auch eine gesellschaftliche Aufgabe, dass das Kind lerne, dass auch andere Personen berechtigte Bedürfnisse hätten.