Siezen Sie noch oder duzt du schon?

von Redaktion

Das Duzen erobert immer mehr Lebensbereiche in Deutschland

Servus, griaß di – Am Berg ist das Du seit jeher völlig normal. An anderen Orten mag es für manchen noch ungewohnt sein. © Mauritius

Siezt du noch oder duzt du schon? Ob im Büro, Café, beim Elternabend oder in der Nachbarschaft – die vertrauliche Anrede „Du“ scheint in Deutschland immer beliebter zu werden. Ist das positiv und steht für weniger Hierarchie und Spießigkeit? Oder bedeutet ein spontanes „Du“ heute weniger Vertraulichkeit als früher? Nicht allein für Sprachwissenschaftler ist die Sache kompliziert – und spannend.

Als das schwedische Möbelhaus Ikea vor rund 20 Jahren begann, auch deutsche Kunden in seinen Werbebotschaften konsequent zu duzen, löste das noch eine kleine Kulturdebatte aus. Horst Simon, Sprachforscher an der Freien Universität Berlin beobachte, wie das Duzen in vielen Lebensbereichen in Deutschland zunimmt – und die Wahl der passenden Anrede knifflig geworden ist. „Es gibt keine harten Regeln mehr“, erläutert Simon. „Das bietet uns die Chance, unsere Kommunikation so zu organisieren, wie sie uns angenehm ist.“

Und im Job? In der neuen Arbeitswelt hat sich das Duzen nach einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der Jobbörse Jobware Anfang 2023 bisher nicht komplett durchgesetzt, aber es gibt Bewegung. 2018 wollten zwei von drei Angestellten lieber gesiezt werden. Fünf Jahre später legte nur knapp jeder dritte bis vierte Befragte Wert darauf.

Die Luft geht dem „Sie“ bislang ohnehin nicht aus. Bei einer quantitativen Umfrage des Marktforschungsunternehmens Appinio fanden 2019 nur rund acht Prozent von rund 4500 Bundesbürgern zwischen 14 und 54 Jahren, dass es abgeschafft gehöre. Fast zwei Drittel verbanden mit dieser Anrede Respekt, Höflichkeit und Zurückhaltung. Bastionen sind weiterhin Behörden, Banken, Arztpraxen oder Gerichte – also Orte, bei denen es um Formales, Finanzen, Fachwissen, Objektivität oder Neutralität geht.

In Bayern aber ticken die Uhren von je her ein bisschen anders. Wie, das erklärt Michael Ritter, stellvertretender Geschäftsführer beim Bayerischen Landesverein für Heimatpflege und Experte für Bräuche, Trachten und Dialekte. Er sagt: In bayerischen Dörfern hat man sich immer schon geduzt – völlig egal, aus welcher Familie man kam, wie alt man war oder welchen Beruf man hatte“, erklärt er. „Gesiezt wurden nur der Pfarrer und der Lehrer.“ Das gelte auch heute noch in Dörfern, in denen weiterhin die alteingesessene Bevölkerung überwiegt. „Je mehr sich die örtlichen Strukturen wandeln, umso mehr sieht man, dass das Du verschwindet.“ Für so manch Zugezogenen sei es anfangs vielleicht befremdlich gewesen, ungefragt mit Du angesprochen zu werden, aber die meisten haben sich dann angepasst.

Insbesondere bei älteren Menschen auf dem Dorf hat sich sogar eine Sonderform, nämlich das „ihr“ oder „euch“ erhalten. Man verwendet also den Plural, selbst dann, wenn man nur eine Einzelperson anspricht. „Statt ,Haben Sie das auch so gemacht?‘ heißt es dann beispielsweise ‚Habt’s ihr das auch so gemacht?‘ So wird der Konflikt zwischen duzen oder siezen geschickt umgangen.“

Völlig normal und üblich sei das Duzen aber weiterhin an Orten oder in Gruppen, bei denen gemeinsame Interessen oder Erlebnisse geteilt werden, so Ritter. Das kann auf dem Berg sein, auf der Hütte, auf der Wiesn oder im Trachtenverein. „Hier ist es das gemeinsame Erleben, das Verbundenheit und Vertrautheit schafft. Da ist es völlig egal, wer oder was man ist, welchen Beruf oder sozialen Status man hat.“

Sprachforscher Arnulf Deppermann am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache sieht Deutschland in einer Übergangsphase, in der die Richtung unklar ist. Wird es mehr Lockerung geben – oder werden die sozialen Grenzen schärfer gezogen? Deppermann sieht im Moment auch eine Sehnsucht nach Orientierungssicherheit und traditionellen Formen. „Eine Rückwärtsbewegung ist nicht ausgeschlossen“, ergänzt er. CJM/DPA

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