Ein Klaps ist keine Kleinigkeit

von Redaktion

Vor 25 Jahren verbietet der Gesetzgeber Gewalt in der Erziehung

Finger weg! Gewalt in der Erziehung ist seit 25 Jahren per Gesetz verboten. © Riedl/dpa

Berlin – Vor 60 Jahren geht Jörg Fegert, der damals acht Jahre alt ist, nur mit Lederhose in die Grundschule. „Weil es mit einem Rohrstock regelmäßig Schläge auf den Po gab“, erzählt der ärztliche Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Ulm. „Damals waren körperliche Züchtigungen in der Schule schon verboten, aber immer noch völlig gang und gäbe.“ Und Leder schützt dann eben mehr als Leinen.

Auch im Elternhaus erfahren viele Kinder seinerzeit körperliche Gewalt: Eine Ohrfeige für die heruntergestoßene Vase oder einen Schlag auf den Hinterkopf, weil Papa oder Mama einfach der Geduldsfaden reißt. In Deutschland habe sich in den vergangenen Jahrzehnten viel geändert, sagt Fegert.

Heute vor 25 Jahren billigt der Bundesrat abschließend ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz, das gewaltfreie Erziehung als Kinderrecht verankert. „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig“, heißt es nun im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Zu Beginn der 1990er Jahre war der Druck auf den Gesetzgeber durch die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN) gewachsen.

Fegert, der damals als Experte im Bundestag angehört wird, erinnert sich: „Die Hälfte des Parlaments war der Auffassung, das ist nur Symbolpolitik, und das bringt überhaupt nichts.“ Dabei habe sich in Schweden, wo das Schlagen von Kindern bereits 1979 verboten wurde, gezeigt, wie positiv eine Gesetzesänderung wirken könne. Die Festlegung einer Norm habe auch in Deutschland zu einem Umdenken geführt, sagt Fegert.

Er ist überzeugt, das Gesetz habe ein neues Bewusstsein für die Folgen solcher Misshandlungen geschafft. Trotzdem sei auch heute noch Luft nach oben. Zusammen mit dem UN-Kinderhilfswerk Unicef veröffentlichte das Universitätsklinikum Ulm im April dieses Jahres die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung, wie akzeptiert körperliche Gewalt in der Erziehung ist. Gut ein Drittel (36,9 Prozent) der Befragten ab 16 Jahren stimmt demnach der Aussage zu, „ein Klaps auf den Hintern hat noch keinem Kind geschadet“. Im Jahr 2016 habe dieser Wert noch bei 53,7 Prozent und 2020 bei 52,4 Prozent gelegen. Eine „leichte Ohrfeige“ hielten demnach 17,1 Prozent für angebracht. 5,4 Prozent fanden, „eine Tracht Prügel hat noch keinem Kind geschadet“ – im Vergleich zu vorherigen Untersuchungen ein Tiefstwert. Auch bei Älteren, die häufiger als Jüngere Körperstrafen in der Erziehung von Kindern befürworten, ist demnach ein Trend weg von der Gewalt zu beobachten.

Schläge und eine vermeintliche Abhärtung haben aber oft schlimme Folgen, erklärt Sibylle Winter, Kinder- und Jugendpsychiaterin an der Charité in Berlin. „Das Kind wird gestresst und bleibt gestresst. Und das bedeutet, dass der Körper und insbesondere eben auch das Gehirn geschädigt werden“, sagt sie.

Bestimmte Hirnfunktionen können sich zurückbilden. Auch bei emotionaler Gewalt, etwa wenn Eltern ihre Kinder regelmäßig anschreien, ihnen drohen oder sie demütigen. Das Hörzentrum im Hirn, der auditive Kortex, könne sich dann zum Beispiel verdünnen. „Der Kortex versucht quasi nicht so doll zu empfinden, um sich zu schützen“, sagt Winter.

Auch die charakterliche Entwicklung der Heranwachsenden sei oft wie ausgebremst: „Das Kind kann kein Selbstbewusstsein entwickeln. Es wird ständig verunsichert.“

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