Forschungslücke Frau

von Redaktion

OP-Besteck ist oft für Männerhände gemacht. © Berg/dpa

Berlin – Frauen machen die Hälfte der Weltbevölkerung aus. Trotzdem sind sie etwa in Spitzenpositionen in Politik oder Wirtschaft oft unterrepräsentiert – und auch in der Forschung. Das gilt nicht nur für den Wissenschaftsbereich selbst, sondern auch mit Blick auf das, was erforscht wird – und wie.

Jahrzehntelang basierten wissenschaftliche sowie medizinische Standards auf dem männlichen Körper – „genauer gesagt auf dem durchschnittlichen weißen Mann“, sagt Nigina Muntean. Sie leitet die Innovationsabteilung des UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA), der Organisation der Vereinten Nationen für sexuelle und reproduktive Gesundheit. In Berlin wurde im Rahmen eines UNFPA-Programms im vergangenen Jahr mit Unterstützung von Charité und Berlin Institute of Health ein Zentrum mit dem Ziel gegründet, die Gesundheit von Frauen zu fördern.

„Diese Messgrößen bilden noch immer die Grundlage für einen Großteil der heutigen Forschung, Produktentwicklung und sogar Schutzausrüstung“, erklärt die promovierte Ärztin mit Spezialisierung in Geburtshilfe und Gynäkologie. So gibt es eine Reihe von Beispielen, bei denen das Geschlecht immer noch einen Unterschied macht.

Als Chirurgin habe sie etwa oft zwei Finger durch die Chirurgieschere stecken müssen, da diese für ihre Hände zu groß gewesen seien, erzählt sie. „Chirurgische Instrumente wurden nicht für kleinere Frauenhände entwickelt – und das ist auch heute noch so.“

Es gebe eindeutige Belege dafür, dass Chirurginnen häufiger unter Schulter-, Nacken- und Gelenkbeschwerden litten und deswegen oft Physiotherapie benötigten – „weil Instrumente und Operationsumgebungen nicht ergonomisch auf sie zugeschnitten sind“. Aber auch Handschuhe oder andere medizinische Schutzausrüstung seien oft nicht in der richtigen Größe verfügbar.

Ein weiteres Thema: die Sicherheit in Fahrzeugen. „Die meisten Autos verwenden immer noch keine weiblichen Crashtest-Dummys für Sicherheitstests“, so Muntean. 2022 sei der erste konstruierte durchschnittliche weibliche Dummy auf den Markt gekommen. Allerdings sei es kostspielig, das gesamte Sicherheitssystem von Autos neu zu konstruieren. „Aber die Kosten dafür sind das Leben von Frauen – Frauen sterben mit einer um 17 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit bei Autounfällen“, sagt sie.

Auch im Sport gibt es Muntean zufolge Beispiele – etwa bei Schuhen – mit Folgen für Sportlerinnen. „Weibliche Athletinnen erleiden zwei- bis sechsmal häufiger Verletzungen des vorderen Kreuzbandes als Männer“, erklärt sie, „vor allem weil Sportschuhe und -ausrüstung auf die Anatomie und das Gewicht von Männern zugeschnitten sind.“

Artikel 9 von 9