Ein verdächtiger Drogenhändler wird von der Polizei abgeführt. © Pimentel/AFP
Rio de Janeiro – Brasiliens Metropole Rio de Janeiro hat am Dienstag den blutigsten Polizeieinsatz ihrer Geschichte erleben müssen. Bei stundenlangen Feuergefechten mit der Polizei sollen laut den Behörden 132 Drogengangster getötet worden sein. Auch vier Beamte starben bei der Operation. Menschenrechtsorganisationen forderten eine lückenlose Aufklärung der Aktion.
Am Dienstagmorgen waren 2500 Beamte ausgerückt, um in den Armenvierteln Penha und Complexo do Alemão in Rios Nordzone 67 Haftbefehle gegen mutmaßliche Angehörige der Drogenbande Comando Vermelho zu vollstrecken. Sie trafen auf erbitterten Widerstand der Bande, die Brände legte und die Polizei mit sprengstoffgeladenen Drohnen angriff. Zudem errichteten sie Straßensperren. Der Verkehr brach in einigen Teilen der Stadt zusammen.
Die Polizei berichtet von 81 festgenommenen Personen und 93 sichergestellten Gewehren. Neun Polizisten und drei Zivilisten sollen verwundet worden sein. Angesichts der Gewalt hatten Geschäfte und öffentliche Einrichtungen geschlossen. Passanten auf dem Heimweg sahen sich plötzlich mitten in intensiven Schusswechseln gefangen.
Der Gouverneur von Rio de Janeiro, dem die Polizei unterstellt ist, beklagte sich gegenüber der Presse über mangelnde politische Unterstützung beim Kampf gegen die Drogenbanden. Die Regierung von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva habe seine Bitten zur Entsendung von gepanzerten Fahrzeugen im Frühjahr abgeschlagen, erklärte Cláudio Castro. „Rio führt diesen Kampf alleine“, sagte der Gouverneur, der einen möglichen Einsatz des Militärs ins Spiel brachte.
Seine Äußerungen lösten in der Hauptstadt Brasília eine Krise mit der Regierung aus. Diese widersprach den Behauptungen Castros. Man sei stets dessen Bitten um Hilfen bei der Verbrechensbekämpfung nachgekommen. Am Mittwoch wollten die beiden Regierungen über die nächsten Schritte beraten.
Gouverneur Castro ist ein enger Verbündeter von Ex-Präsident Jair Messias Bolsonaro und ein politischer Gegner von Präsident Lula da Silva. Das Bolsonaro-Lager warf da Silva mehrfach vor, die Drogenbanden zu schützen. Experten halten dies jedoch für unwahr. Gleichzeitig wird Castro selbst von Medien Nähe zu kriminellen Banden in der Stadt nachgesagt.
Seit Jahren nimmt der Einfluss solcher Banden in der Küstenmetropole zu. So sollen mittlerweile rund 20 Prozent des Ballungsraums von ihnen dominiert werden. Comando Vermelho („Das rote Kommando“) ist dabei die sich am schnellsten ausbreitende Bande. Sie herrscht auch über zahlreiche Favelas – also Armenviertel – in der touristischen Südzone von Rio.
Rio de Janeiro gilt seit Jahrzehnten als eine der gefährlichsten Städte Brasiliens. Nirgendwo sonst sterben so viele Polizisten bei Einsätzen. Gleichzeitig tötet die Polizei hier jedes Jahr zwischen 1000 und 1500 Personen bei Einsätzen. Das entspricht etwa der Gesamtzahl aller Personen, die in den USA von Polizisten getötet werden.