Rosenheim/Haag – Chinesischen Amazon-Händlern wurde jüngst Umsatzsteuerbetrug in Milliardenhöhe vorgeworfen. Und der Internetriese, selbst oft genug wegen angeblichen Steuerschulden in der Presse, wird nicht zur Rechenschaft gezogen. Mal wieder ein Grund für deutsche Betreiber von Onlineshops, sich über die Machenschaften der Großen aufzuregen. Denn der Onlinehandel wird gerade in Bayern immer relevanter, auch wenn die Steuertricks der einen für die steuerzahlenden anderen wie ein Schlag ins Gesicht anmuten müssen.
Ein Drittel der bayerischen Händler verkaufe online, so Bernd Ohlmann, Sprecher des Einzelhandelsverbands Bayern. „Wer nicht im Internet ist, wird auch nicht gefunden.“ Insgesamt hätten bayerische Einzelhändler 2017 im Internet sieben Milliarden Euro Umsatz erzielt und damit zehn Prozent mehr als 2016.
Doch den Eindruck, dass sich einheimische Onlineshopbetreiber von der ausländischen Konkurrenz oder durch den Wettbewerbsdruck der Internetgrößen arg bedroht fühlen, machen die von den den OVB-Heimatzeitungen befragten, regionalen Unternehmer nicht.
Der Elektro-Fachhändler Euronics XXL Durmeier mit Läden in Haag und Waldkraiburg verkauft seit 2015 zusätzlich zum stationären Geschäft im Internet. Damit habe man den Kundenkreis erweitert, erzählt Geschäftsführer Johann Durmeier. „Den Einfluss von internationalen Märkten spüren wir schon.“ Insgesamt aber gehe die „Cross-Channel-Strategie“ für seine Märkte auf: „Viele nutzen den Online-Auftritt als Informationsplattform über Produkte und Angebote. Oft bestellen sie direkt online, noch öfter schauen sie jedoch im Anschluss bei uns im Fachhandel vorbei.“
Ausnutzen, was Amazon nicht kann
In Zeiten, in denen anonyme Verkäufer aus dem Ausland übers Internet High-End-Geräte und Elektroartikel zu günstigen Preisen anbieten können, weil sie beispielsweise die deutsche Mehrwertsteuer nicht aufschlagen, setzt Durmeier darauf, den Kunden online wie offline die gleichen Preise anzubieten. Dazu komme der eigene Anspruch eines guten Vor-Ort-Services mit der persönlichen Beratung. „Auf jeden Euro Online-Umsatz kommen nochmals mindestens zwei Euro im Laden hinzu.“
Das große Potenzial seiner Onlinepräsenz wusste auch Johann Struck geschickt zu nutzen: Um seinen Fahrradkurierdienst zu stärken, zog er trotz seiner Branchenfremdheit und ohne großen Kapitaleinsatz 2014 einen Onlinebuchhandel in Rosenheim auf. Wer online ein Buch bei ihm bestellt, bekommt es noch am selben Tag per Rad geliefert, allerdings nur in Rosenheim, maximal Stephanskirchen und Kolbermoor. Bei Struck, der sich BücherJohann nennt, führte die Idee mit dem Onlinehandel dazu, einen Popup-Laden in der Innenstadt zu eröffnen. Eigentlich sind solche nur als temporäre Ladeneinheiten gedacht.
Bei Struck hält sich der kleine Buchladen mittlerweile über ein Jahr. Wie bei Euronics Durmeier hat hier Online den Offline-Bereich eher beflügelt. Auf Amazon ist Struck nicht unbedingt schlecht zu sprechen: „Ohne das Portal gäbe es meine Onlinepräsenz vermutlich gar nicht.“ Schließlich brachte ihn das Portal darauf, Bücher auszufahren und besser zu machen, was dort schief laufe: „Amazon hat entscheidende Nachteile: Sie liefern oft unpünktlich und das meist über Dritte. Die Lieferanten sind unflexibel gegenüber Kundenwünschen.“ Amazon habe 14 Millionen Bücher im Angebot und er selbst nur einen Bruchteil davon, aber es seien eben diese feinen Unterschiede, mit denen er als kleiner, lokaler Anbieter punkten könne: Bestellungen würden da abgelegt, wo der Kunde sie bei Abwesenheit haben möchte. Das Unternehmen hat ein „Gesicht“, der Kundenservice steht im Vordergrund und nicht der Preis der Produkte: „Da habe ich es bei Büchern freilich leicht, hier setzt die Buchpreisbindung Grenzen.“
Der Schlüssel von Online liegt offline
Lokale Präsenz ist auch das Stichwort, das die Onlineshop-Betreiber der Region erfolgreich zu machen scheint. Struck etwa könnte auch Buchbestellungen nach ganz Deutschland verschicken, tut es aber höchst selten, weil er er mehr Sinn darin sieht, „seine“ Rosenheimer gut zu bedienen. Ähnlich verfährt Andreas Bensegger vom gleichnamigen Bürofachhandel: Er betreibt mehrere Onlineshops, die sich ausschließlich an Geschäftskunden aus dem Südostoberbayerischen wenden. Für ihn hat die eng begrenzte Onlineshop-Zielgruppe von Geschäftskunden aus der Region viele Vorteile: Man kenne sich, die Zahlungsmoral sei entsprechend gut und sein Unternehmen könne auf ein so genanntes Kreditclearing, wie es der nationale Versand zur Zahlungsabwicklung mit verschiedensten Banken der Kunden braucht, verzichten. Rund 100000 Euro, rechnet Bensegger, kosten ihn die Onlineshops und Social Media-Aktivitäten im Jahr. „Aber ohne diese Investition würde es uns in zehn Jahren nicht mehr geben“, sagt er nüchtern.
Mehrwert bieten ist oberstes Netz-Gebot
Seine größte Erkenntnis nach rund 14 Jahren Erfahrung mit den Onlineshops: „Nicht übers Produkt erreicht man Kunden, sondern über Information.“ Bewerbe er online einen Bürostuhl, habe er viel weniger Resonanz darauf, als wenn er auf seiner Seite über Ergonomie und Rückengesundheit blogge. Mehrwert bieten, ist seine Devise.
Darauf setzen auch Durmeier, dessen Website über den Euronics-Verbund einen Blog über Techniktrends anbietet und Struck, der Buchtipps und Veranstaltungen postet. Für Struck ist die Verknüpfung aus Online und Lokalem das Entscheidende: „In Zukunft werden sich online und stationär immer mehr angleichen. Für kleinere, lokale Händler bieten sich im Web Riesenchancen.“ Statt sich über die großen Wettbewerber aufzuregen, rät er, Online-Ideen rasch umzusetzen und sich damit eine Nische zu sichern.
Politisch tut sich dennoch etwas: Vor Kurzem wurde bekannt, dass die LänderFinanzminister Internetportale haftbar machen wollen für die umsatzsteuerlichen Pflichten ihrer Verkäufer.