Wann haben Sie selbst gemerkt, dass Ihr Berufsstand weiblicher wird?
Christine Degenhart: Ich kann mich erinnern, dass man Anfang der 1980er-Jahre zunehmend mehr Frauen auf den Baustellen sah, Architektinnen wie Praktikantinnen. Ich meine, dass wir Frauen in der Architektur mittlerweile gut aufgestellt sind, nur in den Medien wird das oft nicht widergespiegelt, wo Architektur meist Erwähnung findet, wenn ein Wettbewerb stattgefunden hat. Dann stehen häufig wieder die männlichen Kollegen im Vordergrund. Weil an Wettbewerben nur Architekturbüros mitmachen können und in diesen hat meist ein Mann das Sagen.
Gehen Sie auf die Palme, wenn von „weiblicher Architektur“ die Rede ist? Wie wichtig ist es Ihnen, als Architektin wahrgenommen zu werden?
Maria Finsterwalder: Inzwischen studieren mehr Frauen Architektur als Männer, aber deswegen geht es nicht mehr als vorher um Geschlechterzuschreibung – Frauen fühlen sich meiner Meinung nach vom Fach Architektur angezogen, weil es Ästhetik mit Technik verbindet.
C.D.: Man denkt wie ein Ingenieur, arbeitet aber wie ein Künstler, das sehe ich auch so. Mir persönlich gefällt der Begriff „Architektin“ nicht, schon eher „Frau Architekt“. Das hat mit dem eigenen Selbstverständnis zu tun. Die jungen Kolleginnen heute nehmen das Thema übrigens auch gar nicht mehr so ernst, ist mein Eindruck, die sind über diese Debatte schon hinweg.
M.F.: Ich sehe es auch so, der Begriff Architekt ist für mich weder weiblich noch männlich, auch Zaha Hadid (berühmte, iranische Baumeisterin, Architekturprofessorin und Designerin, Anm. d. Red.) sagt: Ich bin beides zugleich. Einer guten Architektur sollte man gar nicht ansehen, ob eine Frau oder ein Mann sie entworfen hat.
C.D.: Zum Thema „weibliche Architektur“ fällt mir aber doch ein gutes Beispiel ein aus der Zeit, in der der Beitrag der Frauen noch nicht selbstverständlich erwähnt wurden: Margarete Schütte-Lihotzky war im Nachbarland Österreich eine der Ersten in ihrem Fach und hat später die „Frankfurter Küche“ entworfen. Der Urtyp der modernen Einbauküche, auf dem noch heute die meisten Modelle basieren.
Als Nicht-Architekt kann man Gebäude schön oder nicht schön finden. Man greift dann auch mal schnell zu Wörtern wie „Schandfleck“ und schimpft über den Architekten, der sich da wohl „ausgetobt“ hat. Wie gehen Sie mit Kritik um?
M.F.: Kritik kann einem helfen, besser zu werden. Mir ist eine Auseinandersetzung mit den Nutzern von Architektur sehr wichtig. In unseren Projekten versuchen wir, die Beteiligten möglichst früh und intensiv in den Entwurfs- und Planungsprozess einzubinden. Das ist zwar anstrengend, aber auch befriedigend. Das Ziel ist, die Menschen glücklich zu machen.
Welche Arbeiten würden Sie als Ihre Meilensteine betrachten, wann war für Sie der Zeitpunkt, als Sie merkten, in der Architektur angekommen zu sein?
M.F. Ein Schlüsselerlebnis war für mich der Besuch von „Falling Water“, einem Wohnhaus in den USA, das Frank Lloyd Wright 1935 auf einen Wasserfall gebaut hat. Diese außergewöhnliche Architektur im Zusammenspiel mit Natur ist bis heute ein wichtiges Thema in meiner Arbeit.
C.D.: Ich würde da zunächst die Frage in den Raum stellen: Bin ich nur ein Architekt, wenn ich baue? Es gibt 24000 Architekten in Bayern und nicht alle bauen. Da möchte ich eine Lanze brechen für all jene Architekten, die in den Bauämtern der Kommune und des Staats auf den Erhalt der Baukultur achten, auch für diejenigen, die in den Unteren Bauaufsichtsbehörden arbeiten.
Themen wie flexibles Wohnen, Tiny Houses, Mehrgenerationen-Wohnen oder auch die Debatte um den Flächenverbrauch stehen mehr und mehr im Vordergrund. Welchen Beitrag kann die Architektur hier leisten?
C.D.: Die Themen Mobilität und Flächenverbrauch beschäftigen uns jetzt schon stark. Das Einfamilienhaus mit 150 Quadratmetern Wohnfläche ist zwar ein verständlicher Wunsch mancher Menschen, aber mit flexiblem Wohnen hat es nichts mehr zu tun. Auch Wohnsiedlungen können nicht mehr die Zukunft sein, wenn man Flächen schützen will. Es deutet sich ein Paradigmenwechsel an; Wohnen im Alter und Barrierefreiheit rücken nach vorne. Wir als Architekten sind dabei wichtige Berater. Es gilt, in den Kommunen vorhandene Flächen optimal zu nutzen; Ortskerne zu stärken, um eine Autarkie für die Anwohner herzustellen, den Siedlungsdruck dadurch zu senken, dass das Leben außerhalb der Ballungsräume wieder attraktiver wird. Da müssen wir als Architekten uns vermehrt einbringen.
M.F.: Wir sind interessiert an alternativen Wohnmodellen und haben etwa einen Gemeinschaftsbau für eine Gruppe von Menschen entworfen, die zusammen leben wollen. Solche Gruppen übernehmen viele soziale Aufgaben, wie es früher in Großfamilien der Fall war. Solche Modelle sind die Chance für verdichtetes Wohnen und auf bezahlbares Wohneigentum. Ich wünsche mir, dass solche Modelle Schule machen und würde gerne mehr davon realisieren.