Rosenheim/Mühldorf – Auf die Frage im jüngsten Rosenheimer Wirtschaftsbarometer, ob sie in den nächsten zwölf Monaten die Anzahl ihrer Mitarbeiter erhöhen werden, antworteten 67 Prozent der befragten Bauunternehmen mit „Ja“. Kein Wunder – Die Auftragsbücher im Baugewerbe sind nach offiziellen Angaben voll, doch um sie abzuwickeln, brauchen die Betriebe mehr Fachkräfte.
Es fehlen nicht
nur Lehrlinge
Der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes und der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie bestätigten jüngst, dass die Auftragslage 2018 mindestens so gut sein werde wie 2017, das von enormer Nachfrage gekennzeichnet war und ein Umsatzplus von etwa fünf Prozent brachte. So sollen 2018 deutschlandweit etwa 320000 Wohneinheiten fertiggestellt werden; 2017 waren es gut 300000. Trotzdem fehlen pro Jahr mindestens 350000 neue Wohnungen. Die können nur gebaut werden, wenn die ausführenden Betriebe genug qualifiziertes Personal dafür haben. Den regionalen Bauunternehmen mangelt es aber an Ingenieuren, Bau- und Projektleitern, vor allem aber an Handwerkern wie Maurern, Stahlbeton- und Betonbauern, an Polieren. Dazu genügt schon ein stichprobenartiger Blick auf die Stellenangebote, die Bauunternehmen auf ihren Webseiten oder in der Zeitung ausschreiben – etwa Regnauer Hausbau in Seeon, Großmann Bau in Rosenheim, Daxeder Bau in Kolbermoor oder Schwaiger Bau in Bad Aibling.
Banalitäten sind oft ausschlaggebend
Ausgerechnet jetzt, wo Fachkräfte knapp werden, greifen viele Bauprogramme der Kommunen, die in den vergangenen Jahren wegen des gestiegenen Wohnraumbedarfs gestartet wurden. Das bestätigt auch Peter Heiss, Obermeister der Bau-Innung Mühldorf-Altötting. „Der Speckgürtel im Großraum München bleibt außerdem weiter attraktiv für Bauherren.“ Das größte Problem der Betriebe sei, diese Aufträge auf längere Sicht in der gewohnt hohen Qualität des heimischen Baugewerbes abzuarbeiten. „Wir wären glücklich, wenn die Konjunktur im Baugeschäft nicht noch weiter angeheizt wird.“ Er ist als Baugutachter tätig und führt ein kleineres Bauunternehmen – „da kann man einiges noch selbst auffangen“. Zum Beispiel den Aufgabenbereich des Poliers, den er 2017 verloren habe, weil dieser sich nach Jahren auf Baustellen beruflich neu orientieren wollte. Heiss versteht das einerseits, denn die Arbeit auf dem Bau ist körperlich anstrengend. Andererseits zeigt dieses Beispiel, das ausgerechnet die erfahrensten Fachkräfte im Alter zwischen 50 und 60 Jahren ausgehen.
Das trifft zunehmend auch auf die Bauleiter zu, die auf den Baustellen die Arbeit der Handwerker koordinieren. Ziehen sie das warme, trockene Büro den zugigen Baustellen vor? Heiss fände das einen legitimen Wunsch. Nur, wer soll sie draußen ersetzen?
Thomas Größlinger, Geschäftsführer bei Palitza Bau in Mühldorf, knapp 60 Beschäftigte, erhielt auf seine Stellenanzeige für einen Projektleiter vor gut drei Wochen erst gar keine Bewerbung. Er könnte mehr Aufträge annehmen, aber ihm fehlen Leute.
Das Problem beginne beim Nachwuchs: „Der Bau hat ein Imageproblem. Solange die Eltern der Meinung sind, ihr Kind solle lieber im Büro arbeiten als auf der Baustelle, wird sich daran nichts ändern.“ Auf Azubi-Messen erlebe er oft, wie Eltern den Sprössling am Stand der Bau-Innung schnell vorbeiführten. Oder dass Bewerber, die woanders nicht landen konnten, erst als allerletzte Option beim Bau vorstellig würden. Heiss bestätigt das. Vor allem an Maurerlehrlingen mangele es, wobei diese wegen der nahen Berufsschule in Altötting sich noch eher für die Lehre entschließen könnten – im Gegensatz zum Betonbauer, der nach München müsse. „Solche Banalitäten entscheiden heute über das Weiterbestehen eines Berufsstandes“, ärgert sich Größlinger. Dabei seien die Chancen auf guten Verdienst, eine Übernahme nach der Lehre und den Aufstieg im Betrieb allgemein hervorragend. Ein Maurerlehrling verdiene im dritten Lehrjahr bis zu 1200 Euro, ergänzt Heiss, könne sich schon als junger Geselle sein eigenes Haus bauen. Ein Berufskollege aus einem Nachbarlandkreis versuche jetzt, Handwerker aus dem Kosovo nach Oberbayern zu holen.
Das wird Simon Gartner aus Rohrdorf wohl erspart bleiben. Im Gegensatz zu den meisten Innungsbetrieben, mit denen die OVB-Heimatzeitungen gesprochen haben, beklagt er keinen Fachkräftemangel: „Wir bilden derzeit drei Maurer aus, haben für 2019 schon Kandidaten und mussten sogar Bewerber ablehnen.“ Da er mit 20 Mann ein relativ kleiner Betrieb sei, aber immer komplexere Bauaufträge annehme, profitierten seine Lehrlinge, Gesellen und Mitarbeiter von der Bandbreite an Aufgaben, die der Einzelne übertragen bekäme. 18 seiner Leute seien Maurer, davon sechs mit einer Erfahrung, die sie jederzeit als Vorarbeiter auf der Baustelle qualifizierten: „Der Kunde muss bei Fragen nicht erst auf den Bauleiter warten, er trifft auf der Baustelle immer auf einen kompetenten Ansprechpartner.“
Bald noch höhere Preise am Bau?
Gartner profitiert, das gibt er zu, vom engen, fast schon familiären Netzwerk am Standort Rohrdorf, woher auch die meisten seiner Mitarbeiter und Lehrlinge kämen. Dass er eines Tages Aufträge ablehnen müsse, daran glaubt er nicht.
Größlinger dagegen sieht, wenn er gedanklich die jetzige Entwicklung ein paar Jahre weiterspinnt, einen noch stärkeren Preisanstieg beim Bauen: „Wir werden künftig gute Fachkräfte vielleicht nur noch mit mehr Geld locken können. Oder mit Zusatzangeboten. Dafür bezahlen müssen letztlich die Kunden.“
Denkbar ist für ihn auch, dass durch den Personalmangel lange Wartezeiten auf Auftraggeber zukommen werden. Für ihn gibt es nur ein Heilmittel: „Die Gesellschaft muss umdenken.“ Der dringend benötigte Wohnraum müsse schließlich von jemandem gebaut werden.