Bernau – Monika Reiter begann 1968 ihre Schneiderlehre in München und eröffnete 1976 bereits 14 Tage nach ihrer Meisterprüfung ihr erstes Modeatelier. Ihr heutiges befindet sich in Bernau am Chiemsee. Seit 1977 ist sie im Vorstand der Rosenheimer Maßschneiderinnung aktiv, seit 2000 als Obermeisterin. Unter anderem hat sich Reiter auf Showtanz-Kostüme spezialisiert, stattet etwa die Kolbermoorer Faschingsgarde aus. Ehrenamtlich setzt sich die 68-Jährige als Richterin am Landessozialgericht in München ein.
50 Jahre in der Modebranche: Welche Umbrüche haben Sie erlebt?
Im Grunde hat sich jedes Jahrzehnt etwas geändert. Wenn ich an meine Zeit in München zurückdenke, an die Olympischen Spiele dort, da trug jeder wie selbstverständlich bei öffentlichen Ereignissen seine Tracht. Ende der 1970er-Jahre kam die Zeit der Kaufhäuser mit ihren Modeabteilungen; die kleineren Boutiquen hatten es nach und nach schwerer. Heute haben wir das Zeitalter von Textildiscountern mit ihrer eher kurzlebigen Ware. Was sich laufend ändert, sind die Materialien und natürlich die Stile.
Was hat sich für Ihren Berufsstand verändert?
Ich habe eine klassische Schneiderlehre gemacht und mich in einem Modeunternehmen die Abteilungen zur Directrice hochgearbeitet, Lehrgänge besucht, meinen Meisterbrief gemacht. Heute eröffnen viele Schneider ohne diesen langen Werdegang ihr Atelier; in den Städten gibt es immer mehr Änderungsschneidereien oder kleine Ateliers ohne Meister. 2004 fiel für unseren Beruf die Meisterpflicht weg, das hat vieles verändert. In der Innung engagieren wir uns heute dafür, dass die Gesellen sich wieder mehr für den Meister interessieren.
Was unterscheidet das Atelier eines Schneidermeisters von anderen?
Die Kunden selbst machen zum einen den Unterschied: Sie legen größeren Wert auf Qualität, aus ihrer eigenen Erfahrung mit dem Kauf von Kleidung heraus. Sie schätzen es, dass die von uns gefertigte Mode nicht aus einem Fernost-Container kommt, der nach seiner Ankunft im Hafen erst einmal mit einem Insektizid eingesprüht wird. Es sind Kunden, die nachfragen, woher der Stoff zum Beispiel kommt. Sie wollen keine Billigware, wollen nicht Teil der Wegwerfgesellschaft sein. Zum anderen besteht ein Unterschied darin, dass wir Schneidermeister die Kunst der Haute Couture beherrschen, die hohe Schneiderkunst. Wir fertigen immer noch vieles in Handarbeit, in meinem Atelier beispielsweise werden Säume noch von Hand rolliert, Knopflöcher, Knöpfe und Haken werden per Hand genäht und angebracht.
Wer seine Kleidung normalerweise von der Stange kauft, denkt wahrscheinlich, einen Schneidermeister kann ich mir nicht leisten.
Viele Meisterstudios arbeiten mit einer Mischkalkulation, berechnen etwa Werkstattstunden. Das muss für den Kunden nicht unbedingt teurer sein. Und wir beziehen für einfache Handarbeiten Azubis und Gesellen ein.
Wie ist die Ausbildungssituation?
In der Region gibt es derzeit mehr Ausbildungswillige als Betriebe, die sie ausbilden. Viele müssen sich daher nach München orientieren. Ich selbst habe schon rund 30 Schneiderinnen ausgebildet.
Wie sieht es bei Ihnen mit der Nachfolge aus?
Ich möchte diesen Beruf noch lange ausüben. Wenn es aber so weit ist, wäre meine Nachfolge geregelt durch zwei Schneiderinnen, die ich selbst ausgebildet habe.
Interview: Elisabeth Sennhenn