Kaufhäuser sterben – aber nicht überall

von Redaktion

Ob große Traditionshäuser wie K&L und Gerry Weber oder inhabergeführte Geschäfte wie jüngst das alteingesessene Kaufhaus Schmederer aus Mühldorf: Die Nachrichten, dass wieder ein bekanntes Haus Insolvenz anmelden musste, häufen sich. Es gibt aber auch Positivbeispiele.

Wasserburg – Vom Kaufhaussterben ist nicht erst seit Kurzem die Rede. Schon vor über zehn Jahren, als die Warenhauskette Karstadt in die Krise geriet, kam das Thema auf. Innenstädte, gerade im ländlichen Bereich, trifft dieses Phänomen besonders hart. Kaufhäuser, etwa Karstadt in Rosenheim, gelten als Kundenmagneten, deren Kaufkraft auf weitere Einzelhändler am Standort abstrahlt.

Das hat auch Sibylle Schuhmacher aus Wasserburg festgestellt. „Fällt ein altbekanntes Warenhaus in der Innenstadt weg, entsteht eine große Lücke.“ Als 2016 das einst von ihrem Vater gegründete Kaufhaus in Wasserburg mangels Nachfolger vor dem Aus steht, treffen sie und ihr Mann Tobias eine weitreichende Entscheidung: „Obwohl wir beide aus der IT kommen und keine Erfahrung im Einzelhandel hatten, wollten wir das Haus übernehmen. Wir wussten, dass es ein Wagnis ist.“ Seit Herbst 2017 gibt es nun das InnKaufhaus. Die Schuhmachers beobachten, dass nicht nur Einheimische dort einkaufen. Selbst aus München kommen Kunden. Das zahle sich auch für die umliegenden Geschäfte aus, für die Gastronomie vor Ort. Es bestehe eine enge Verbindung zwischen dem Kaufhaus und lokalem Einzelhandel.

Die Gründer stemmen sich mit aller Kraft gegen den Trend des Kaufhaus-Niedergangs. „Insbesondere in den kleinen und mittleren Städten leidet der stationäre Einzelhandel unter dem Kaufhaussterben“, sagt Sabine Rumscheidt, Handels-Expertin am Münchener ifo Institut. Sie sieht einen Schuldigen an dieser Entwicklung im Internet: „Das Angebot im Web ist enorm, mit dieser Warenvielfalt kann bei einem kleineren Einzugskreis nicht mitgehalten werden – das gilt eben auch für die Warenhäuser.“ Früher, so Rumscheidt, seien diese einfach praktisch gewesen, weil man alles unter einem Dach gefunden hat. Heute ist das Internet das neue „Dach“: „Die üblichen Kaufhäuser wirken nicht mehr ganz zeitgemäß. Die treuen, älteren Kunden sterben weg und die jüngeren wünschen sich aufregendere Formate.“

Anderes Sortiment, mehr Unterhaltung

An all dies haben die Schuhmachers gedacht – ihr Glück sei gewesen, räumt die Inhaberin ein, dass sie von vorn anfangen konnten. „Das war unsere Chance, vieles anders zu machen.“

In Wasserburg geschieht gerade das, was ifo-Expertin Rumscheidt über die Bemühungen der Warenhäuser in großen Städten berichtet: „Es wird viel experimentiert, zum Beispiel mit Pop-up-Stores; Store-in-Stores, Veranstaltungen und Beratung.“ So ist auch im InnKaufhaus eine Etage für Events wie Workshops und Konzerte reserviert. Und man wagt sich an ein breiteres Warenangebot. Neben Produkten des täglichen Bedarfs finden sich hier Dinge, die es sonst in der Gegend nirgends gibt. Zum Beispiel ein „Männereck“, das sich der Rasurkultur und Haarpflege widmet, es gibt Stetson Cowboy-Hüte und handgewebte Jeans.

Im Gegensatz zu Konzernvorständen packen die Besitzer selbst überall mit an, geben „150 Prozent“. Die Schuhmachers haben das ursprünglich 1970 gegründete Warenhaus etwa von unten bis oben frisch hergerichtet, trotz straffem Budget. Stolz sind sie etwa auf die Spielwarenabteilung: „Wir haben sie extra so angelegt, dass Kinder hier tatsächlich spielen können. So verweilen Kunden länger und fühlen sich wohl. Freilich müssen wir Geld verdienen, aber zuallererst sollen die Leute gern bei uns sein.“ Gut 16 Monate nach der Neueröffnung sehen die Inhaber ihr Herzensprojekt dabei auf einem guten Weg.

Handel investiert oft an der Realität vorbei

Parallel zum stationären Handel fahren die Wasserburger eine Multi-Kanal-Schiene in der Vermarktung, betreiben einen Blog. Hier hilft ihnen ausnahmsweise doch ihr beruflicher Hintergrund, die IT. Die fehlende Einzelhandelserfahrung habe nie gestört: „Im Gegenteil. So konnten wir das Ganze aus der Sicht des Kunden angehen.“

Dass dies zu selten in der Realität der Warenhäuser geschieht und vielleicht mit ein Grund ist, warum viele von ihnen in Schieflage geraten, zeigt eine aktuelle Studie von Oracle Netsuite. Sie untersuchte in den USA, Großbritannien und Australien, mit welchen Konzepten Verkaufsmanager das Einkaufen attraktiver machen wollen. Das Ergebnis: Die meisten Konzepte verfehlten die Bedürfnisse der Kunden. Laut Studie glauben 73 Prozent der 400 befragten Führungskräfte im Einzelhandel, der Einkauf sei in den vergangenen fünf Jahren einladender geworden – nur 45 Prozent der 1200 befragten Verbraucher stimmten dem zu. 19 Prozent gaben an, es sei sogar weniger einladend geworden. Neue Technologien wie Virtual Reality, die das Einkaufserlebnis aufpeppen sollen, werden demnach überschätzt. Das gilt auch für Social Media. Laut Studienlage hat der stationäre Handel eine Zukunft – das spricht für die inhabergeführten Kaufhäuser mit dem „gewissen Etwas“: 97 Prozent der Verbraucher möchten am liebsten in einem physischen Laden einkaufen.

Attraktiver Handel braucht mehr als Onlinepräsenz

Bernd Düsterdiek, Referatsleiter des Dezernats Umwelt und Städtebau beim Städte- und Gemeindebund in Bonn, sieht Gründe für das Warenhaus- und Einzelhandelssterben im Online-Handel, der Ausdünnung der Nahversorgung speziell im ländlichen Raum sowie im veränderten Einkaufsverhalten. „Bis 2020 stehen weitere 50000 Einzelhandelsgeschäfte zur Disposition. 2019 ist erneut mit einer Erlössteigerung des Online-Handels um neun Prozent auf 58,5 Milliarden Euro zu rechnen. Dies macht weit über zehn Prozent aller Einkäufe in Deutschland aus.“ Der Handel solle sich nicht gegen das Internet positionieren, sondern eigene Angebote in den Ring werfen. Düsterdieck bestätigt, wie relevant aktive Kundenbetreuung sowie eine „Wohlfühlatmosphäre“ seien. Doch das reiche nicht aus: Nötig seien auch eine flächendeckende Versorgung mit leistungsstarkem Breitband, die aktive Zusammenarbeit der Händler untereinander sowie eine enge Abstimmung von Städten, Handel, Stadtmarketing und Immobilieneigentümern. Dazu auch eine „angemessene Mietpreispolitik“, etwa mit frequenzabhängigen, guten Wegebeziehungen zwischen den Einzelhandelslagen, ein gut ausgebauter ÖPNV und ein gutes Parkplatzangebot.

Artikel 6 von 9