Rosenheim – Achim Gabor hält im Showroom der Rosenheimer Zentrale der familiengeführten Gabor Shoes AG einen Sneaker mit Leopardenmuster aus der aktuellen Herbst-/Winter-Kollektion in der Hand. Wo man auch hinblickt, man sieht nichts als Schuhe: Hohe Schaftstiefel und Stiefeletten, Pumps und Ballerinen – im Volksmund schlicht Ballerinas genannt – sowie jede Menge Sneaker. Diesem trendigen Sportschuh für jede Gelegenheit, habe Gabor einiges zu verdanken, erzählt der Vorstandsvorsitzende: „Hätten wir uns vor rund 15 Jahren nicht dafür entschieden, auch Sneaker zu produzieren, wären wir heute lediglich ein Nischenanbieter von Pumps und Ballerinen.“
Neun Millionen Schuhe im Jahr
Neun Millionen gefertigte Schuhe pro Jahr, ein Umsatz von zuletzt 380 Millionen Euro, 3500 Mitarbeiter und über 600 Läden – auch wenn der Markt für Schuhe umkämpft ist: Gabor ist heute, 100 Jahre nach Unternehmensgründung, ein weltweit agierender Betrieb.
Dabei fing alles 1919 im Kleinen mit einem Schuh- und Lederwarenhandel im oberschlesischen Groß-Strehlitz an. Er brachte es zusammen mit seiner Frau Lucie zu ansehnlicher Größe. Sie hatten fünf Söhne. 1945, in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges, brachten sie die Kinder, die noch zu Hause waren, zu einer Tante nach Thüringen. Kurz darauf wurde das Geschäft zerstört, Pius und Lucie kamen beide um.
Am 1. Februar 1949 wagten dann zwei Söhne, die Brüder Bernhard und Joachim, einen Neuanfang und gründeten mit einfachsten Mitteln die B. & J. Gabor Damenschuhfabrik in Barmstedt bei Hamburg – der Vorläufer der heutigen Gabor Shoes AG. Sie begannen mit der Produktion von „Jedermann-Schuhen“, das war einfachstes Schuhwerk für die Zeit des Mangels nach den Kriegsjahren.
Suche nach Trends
in den USA
Man bekam für deren Herstellung Leder aus dem Marshall-Plan zugeteilt und verkaufte sie mal gegen D-Mark, mal gegen Wurst und Schinken. Schon bald aber erwies sich diese Art der Fußbekleidung als schlechtes Geschäft.
Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung passten diese Schuhe nicht mehr zum Selbstbild der Menschen. Bernhard und Joachim Gabor standen schon vor der Entscheidung, ihr Geschäft wieder aufzugeben.
Nach einer Informationsreise in die USA brachte Bernhard jedoch eine neue Art der Schuhherstellung mit nach Deutschland: die California Machart. Mit ihr ließen sich komfortable Schuhe einfach und mit geringem maschinellen Aufwand herstellen. Joachim Gabor beschäftigte sich zugleich intensiv mit der Mode der Zeit.
So gelang der Durchbruch. Die Nachfrage nach den Modellen „Gabor-Californias“ war enorm und Schuhhändler boten Vorkasse, um damit bedient zu werden. 1952 wurde die erste eigene Fabrik in Barmstedt gebaut, bald darauf folgten weitere Produktionsstätten im In- und Ausland. Schon früh begann Gabor auch im Ausland neue Märkte zu erschließen: zunächst die deutschsprachigen Länder Österreich und Schweiz, in den 50er-Jahren Skandinavien. Später folgten Großbritannien, Russland, die USA, Asien und Osteuropa.
1966 wurde der Firmensitz nach Rosenheim verlegt. 63 Barmstedter Familien folgten und bezogen die im Vorfeld errichteten Werkswohnungen in der oberbayerischen Stadt. Im gleichen Jahr verstarb Mitbegründer Bernhard. Ein schwerer Schlag für das Unternehmen. Durch Joachim Gabors Qualitätsorientierung schuf er das Fundament, auf dem der Erfolg des Unternehmens bis heute basiert. Sein Credo: „Wir machen Schuhe für Millionen, nicht für Millionäre.“
Nachhaltigkeit
und Veganismus
Aktuell beliefert Gabor rund 5000 Abnehmer in 60 Ländern, 50 Prozent der Produktion werden exportiert. 2001 erwarb Gabor die Lizenzrechte für camel active Footwear und so spielt Gabor auch als Herrenschuhanbieter eine wichtige Rolle. Später wurden Lizenzen für Gabor Handtaschen, Schuhpflege sowie Strümpfe und Socken vergeben. „Unser Leder kommt überwiegend aus Italien“, so Gabor, und räumt mit dem Vorurteil auf, für Lederschuhe müssten Tiere ihr Leben lassen: „Im Gegenteil. Wir verwerten das Leder, das aus der Lebensmittelherstellung kommt, vor allem Kalb und Rind.“ Auch wenn die neue Kollektion viel Schlange, Zebra, Kroko und Leo verspricht: „Selbstverständlich muss auch dafür kein exotisches Tier sterben.“ Vielmehr könnten die ausschließlich zertifizierten Gerber, die Gabor das Material liefern, Lederoberflächen so täuschend echt bearbeiten.
Kompostierbaren Schuh entwickelt
Den Trend zum Veganismus spürt man auch beim Schuhhersteller: „Wir finden, Synthetik kommt nie an die Eigenschaften von Leder heran, etwa an die Atmungsaktivität“, ist Gabor überzeugt. Vor rund fünf Jahren habe man einen komplett kompostierbaren Schuh entwickelt – „er hatte sich nach drei Monaten in der Erde zersetzt“ – der aber leider ein Verkaufsflop gewesen sei.
Brexit und Politik beeinflussen Geschäft
2005 übernahm Achim Gabor die Leitung des Unternehmens von seinem Vater. Er modernisierte es in vielen Bereichen. Er erweiterte seine Logistik und seine Werke an den europäischen Standorten in Portugal und der Slowakei. Auch die Digitalisierung treibt Achim Gabor voran und eröffnete 2017 einen Online Marktplatz für seine Händler.
Aktuell leiden Gabor zufolge Exporteure wie er unter der Wirtschaftspolitik zwischen der EU und der Türkei, den Vorzeichen des Brexit und selbst unter dem Handelsstreit zwischen Russland und den USA: „In die Türkei können wir kaum noch liefern, unser Russlandgeschäft ist praktisch zum Erliegen gekommen“, der Transport nach Großbritannien sei jetzt schon kompliziert. Weitaus mehr beschäftigt ihn ein Akteur, den in seinem Geschäft viele fürchten: „Petrus.“ Die Sommer werden länger, die Winter unberechenbarer – wann fängt eine Saison an, wann endet sie? Heißt das Pumps und Sandalen bis Ende September?