Rosenheim/Rohrdorf/Mühldorf – Soll der Zoll regionale Gastwirte noch stärker kontrollieren als bisher? Eine entsprechende Forderung der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) aus Rosenheim sorgt dieser Tage für Wirbel in der Gastronomie. Das Hauptzollamt Rosenheim habe 2018 in der Region 1657 Firmen aus dem Gastgewerbe auf Schwarzarbeit, Sozialbetrug und auf die Einhaltung von Mindestlöhnen hin kontrolliert. 236 Betriebe seien dabei näher ins Visier genommen worden; bei zehn von ihnen habe man einen Mindestlohnverstoß aufgedeckt. Für NGG-Geschäftsführer Georg Schneider heißt das: „Der Zoll muss mehr und intensiver kontrollieren.“
Selbst zur Berghütte kommen die Beamten
Die Rohrdorfer Gastronomin Theresa Albrecht ist Rosenheims Kreisvorsitzende des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga). Von unserer Zeitung auf die NGG-Forderung angesprochen, zieht sie hörbar die Luft ein. „Wir Gastwirte sind bereits gläsern. Es vergehen keine zwei Monate, ohne dass wir von einer Behörde kontrolliert werden“, beteuert sie. Auch Dehoga-Sprecher und Wirt Holger Nagl aus Mühldorf meint: Die Quote der „schwarzen Schafe“ in der Branche sei zu gering, als dass deshalb mehr Kontrollen gerechtfertigt wären.
Patrizia Kaiser von der Stabsstelle Kommunikation im Hauptzollamt Rosenheim sagt unserer Zeitung, sie verstehe die Wirte sogar: Man wolle kein Vergehen übersehen, aber auch nicht unnötigerweise auftauchen und den Betriebsablauf stören. Eben kommt sie von einem anstrengenden Einsatz im Gebirge: „Wir kontrollieren auch die Berggastronomie, selbst in schwer zugänglichen Bereichen.“
Sie schildert, dass der Rosenheimer Zoll allein im Juni 45 Hotels und Gaststätten im Raum Rosenheim aufgesucht habe. „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“, kurz FKS, heißt die entsprechende Einheit, die in der Regel in Zivil und immer unangekündigt auftauche. Entweder erfolge die Kontrolle „pauschal“ oder auf einen persönlichen Tipp hin. Typischerweise würden Nachweise zu Sozialversicherungsabgaben inklusive Abführungen in die Rentenversicherung und Stundenaufzeichnungen, bei Bedarf auch Aufenthaltsgenehmigungen, kontrolliert. „In den meisten Fällen können wir keinen Verstoß feststellen“, so Kaiser. Zum Beispiel, wenn es um illegale Beschäftigung oder den Verstoß gegen das Mindestlohngesetz gehe.
Hin und wieder gebe es auch einen Hinweis von der NGG, aber, so stellvertretender Sachgebietsleiter Manfred Mayr, würde man sich in dieser Hinsicht sogar mehr Kontakt zur Gewerkschaft wünschen. Man gehe nicht jedem Hinweis „einfach so“ ohne vorherige, eigene Recherche nach, ergänzt Patrizia Kaiser: „Qualität muss vor Quantität gehen.“ Sie sagt auch, dass Verstöße, etwa gegen das Mindestlohngesetz, oder Schwarzarbeit selbst bei konkreten Hinweisen manchmal schwer nachzuweisen seien. So könne es zum Beispiel sein, dass ein Mitarbeiter einen fixen Lohn erhalte, aber mehr Stunden als festgeschrieben arbeite und sich daraus dann ein Stundenlohn unter der Mindestgrenze ergebe. Sie beschreibt auch, dass Mitarbeiter von ihren Arbeitgebern bisweilen instruiert würden, was sie im Fall einer Kontrolle zu sagen oder nicht zu sagen hätten: „Die Angestellten fürchten dann verständlicherweise um den Verlust ihres Arbeitsplatzes.“
Wirte fürchten am meisten Imageverlust
Holger Nagl aus Mühldorf hält das für Einzelfälle. Seiner Erfahrung nach würden Gastwirte in Zeiten des Fachkräftemangels ihr Personal eher „wie rohe Eier behandeln“ und alles dafür tun, sie zu halten – eine faire Bezahlung stünde dabei an erster Stelle.
Dem pflichtet Theresa Albrecht bei. Wie Nagl ist sie der Meinung, Kontrollen durch Behörden seien prinzipiell gut und richtig und dienten der Branche, vor allem im Interesse der Gäste. In Rosenheim und Umgebung, das wisse sie aus dem Austausch mit Berufskollegen aus ganz Deutschland, seien Behördenprüfungen im Vergleich zu anderen Regionen besonders streng und engmaschig. Sie beschreibt Beispiele aus dem Alltag in der Gastronomie, die den Wirt schnell und ungewollt in eine Grauzone brächten: Falle etwa der sogenannte Schankverlust unerwartet hoch aus, weil Mitarbeiter im Stress oder aus Unachtsamkeit größere Mengen von Zapfgetränken verschütteten, würden diese nicht in den Umsatz einberechneten Mengen bei einer Prüfung Fragen aufwerfen. „Selbst wenn die verbrauchte Senfmenge nicht zur Zahl der verkauften Würstel passt, wird das schon genau überprüft“, erzählt sie.
Was passiert, wenn der Zoll oder eine andere Behörde eine Unregelmäßigkeit feststellt? Albrecht erzählt, dass dann, je nach Problemlage, der Betrieb praktisch Kopf stehe, bis die Sache aus der Welt sei. Freilich sollten die Gäste und Kunden so wenig wie möglich davon mitbekommen – „so etwas ist enorm imageschädigend und das Kundenvertrauen ist heute schneller denn je erschüttert“. Nicht selten nähmen die Betriebe hohe Summen auf sich, um nachzubessern. Umso tragischer sei das, wenn ein Verdacht sich als falsch herausstelle.
Laut Patrizia Kaiser vom Hauptzollamt würden die Beamten einen beanstandeten Betrieb nach einiger Zeit erneut kontrollieren, ob die erforderlichen Schritte unternommen worden seien. „Auch das kostet Zeit und bindet unser Personal“, sagt sie. 150 bis 170 Beamte stünden für die Einsätze, inklusive Ahndung und Bußgeldstelle, zur Verfügung. Zu wenig, findet Georg Schneider von der NGG. Der Plan von Bundesfinanzminister Olaf Scholz, die Finanzkontrolle Schwarzarbeit deutschlandweit auf mehr als 10000 Beamte aufzustocken, sei ein „wichtiger Schritt“. Derzeit sei die FKS von dieser Zielmarke aber noch weit entfernt.
Wunsch nach mehr Wertschätzung
Nach Informationen der NGG seien bundesweit zuletzt lediglich 6600 Planstellen für Kontrolleure besetzt gewesen. Auch im Hauptzollamt Rosenheim kennt man laut Kaiser diese Pläne, es sei aber noch unklar, wie viele neue Stellen es in Rosenheim geben werde.
So sehr Holger Nagl das Engagement der NGG auch zu würdigen wisse, sähe er es lieber, man würde sich dort mehr um das Thema flexible Arbeitszeiten kümmern. Und Theresa Albrecht wünscht sich, Unternehmen und speziell Gastronomen würden in der Gesellschaft mehr Wertschätzung erfahren. Stattdessen werde darauf gewartet, dass sie Fehler machten. Während einer USA-Reise sei sie überrascht gewesen, welch hohen Stellenwert dort Unternehmer zum Teil genießen würden. „Aber bei uns steht niemand mit einem Blumenstrauß da und gratuliert dir zu deiner großartigen Leistung.“