Mehrwertsteuersenkung hilft der Gastronomie nur bedingt

von Redaktion

DEHOGA-Kreisvorsitzende Theresa Albrecht: „Wir haben keine Nachholeffekte durch Urlaub im Inland“

Rosenheim – Die Mehrwertsteuer für Speisen in gastronomischen Betrieben wird ab 1. Juli von 19 auf sieben Prozent gesenkt. Damit will die Staatsregierung die Gastronomie unterstützen, die von der Corona-Krise stark gebeutelt ist.

„Erst mal eine gute Lösung“, sagt Theresa Albrecht (52), Kreisvorsitzende des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (DEHOGA) im Landkreis Rosenheim. Sie selbst ist ehrenamtliche Vertreterin der DEHOGA, kennt die Krise der Gastronomie jedoch auch als Betroffene. Denn Albrecht ist selbst Wirtin und betreibt das Hotel und den Gasthof „Zur Post“ in Rohrdorf, die ebenfalls von der Schließung betroffen sind.

Viele Wirte
ohne Rücklagen

Zu 80 Prozent handele es sich in der Region um kleine oder mittlere Betriebe, deren Inhaber die Krise in jeder Hinsicht trifft. „Man muss sich das so vorstellen: Selbstständige Wirte hängen mit ihrem kompletten Vermögen in ihren Betrieben. Oft auch mit der privaten Altersvorsorge“, sagt Albrecht. Rücklagen gebe es kaum. Sie rechne damit, dass 20 bis 30 Prozent der Gastronomiebetriebe infolge von Corona schließen müssen.

Von Insolvenzen weiß sie noch nicht. Albrecht vermutet, dass es noch ein Tabu ist, darüber zu sprechen. „In Deutschland haben wir keine anerkannte Kultur des Scheiterns.“ Neben den finanziellen Folgen treffe die Corona-Krise viele Wirte auch psychisch sehr.

An die von Ministerpräsident Markus Söder angesprochenen Aufholeffekte, etwa durch Urlaub im Inland, glaubt sie nicht: „Unsere Ware ist verderblich. Der Ausfall eines unbesetzten Tisches kann nicht einfach nachgeholt werden“, sagt die Wirtin. Besonders das verpasste Ostergeschäft bedauert sie. Auch eine Mehrwertsteuersenkung helfe nur, wenn überhaupt erst wieder Umsätze zustande kämen.

Theresa Albrecht findet die Soforthilfe und die Unterstützungsangebote der Politik sinnvoll. Die seien aber ein Tropfen auf dem heißen Stein. Außerdem glaubt sie: „Die, die überleben, werden das nur mit Krediten schaffen.“ Sie habe schon Anrufe bekommen von Wirten, die sich fragen, ob sie mit Anfang 50 nochmal einen Kredit über eine halbe Million Euro aufnehmen sollten. „Ich bin ja selbst 52 und kann das nachfühlen.“ Hier müsste die Politik, aus ihrer Sicht, einen Planungshorizont bieten – was Öffnungen angehe, aber eben auch in Bezug auf die Mehrwertsteuer. Denn der niedrigere Satz für die Mehrwertsteuer ist nur für ein Jahr befristet. Eine Steuersenkung auf sieben Prozent ist schon lange eine Kernforderung des Gaststättengewerbes.

Mehr Geschäft,
wenig Marge

„Die Verluste durch den Lock-Down in Hotellerie und Gastronomie sind so immens, dass eine dauerhafte Absenkung der Mehrwertsteuer für den Verzehr von Speisen in Gaststätten notwendig und sinnvoll erscheint“, sagt auch Roland Bräger, Erster Vorsitzender des Wirtschafts-Forums Mangfalltal.

Aus Theresa Albrechts Sicht habe die Gastronomie nur teilweise von den letzten Jahren profitiert. Einerseits habe die Wirtschaft gebrummt: Die gute Konjunktur habe auch den Gaststätten gute Umsätze beschert. Gleichzeitig seien die Margen sehr stark gesunken. „In den letzten Jahren haben wir so viele Auflagen bekommen, die sehr kostenintensiv waren.“ Sie selbst berichtet von einer Umnummerierung der Rauchmelder in ihrem Betrieb, die allein mit rund 12000 Euro zu Buche schlug.

Ein Dorn im Auge ist ihr auch die Unterscheidung bei der Mehrwertsteuer: „Es kann doch nicht sein, dass ich steuerlich billiger wegkomme, wenn ich mir an der Theke im Supermarkt was hole, als wenn ich zu einem Mittagstisch in ein Lokal gehe. Essen ist Essen.“

Der Bundesverband der Hotels und Gaststätten spricht auf seiner Homepage gar von einem Mehrwertsteuer-Wirrwarr und beschreibt ein Beispiel: Eine Currywurst werde bei Verzehr an der Bude mit 19 Prozent Mehrwertsteuer besteuert. Allerdings nur dann, wenn der Kunde sich mit seiner Currywurst auf den vom Imbiss bereitgestellten Sitzmöbeln niederlässt. Wer vor dem Imbiss stehen bleibt oder auf eine Parkbank ausweicht, müsse für seine Wurst-To-Go nur sieben Prozent bezahlen.

Neben der steuerlichen Ungerechtigkeit hofft sie nun darauf, dass der Föderalismus nicht zu weiteren Ungleichbehandlungen führt. Auch die Ankündigung des österreichischen Bundeskanzlers, die Grenzen für deutsche Touristen zu öffnen, ist für sie ein Alarmzeichen: „Ich habe großes Verständnis für die Österreicher, die auf deutsche Urlauber angewiesen sind. Aber es wäre ein Riesenproblem, wenn Bayern die Restaurants noch geschlossen hält, und sie in Tirol oder in anderen Bundesländern schon wieder offen wären und man einfach dort hinfahren könnte.“

Man dürfe außerdem nicht vergessen, dass auch bei einer Öffnung vermutlich noch besondere Regeln gelten werden, sagt die Wirtin. Wenn aus Abstandsgründen nur jeder zweite Tisch besetzt werden könne, dann fehlten allein schon deshalb die Hälfte der Umsätze. Eine Erholung würde daher lange dauern.

Viel Personal sei in den letzten Jahren aus der Branche abgewandert. Besonders die Arbeitszeiten würden viele Menschen abschrecken. Theresa Albrecht selbst ist Wirtin mit Leidenschaft, trotz aller Probleme. Abgesehen von finanziellen Sorgen fehlen ihr im Moment schlicht die persönlichen Kontakte zu den Kunden: „Gastronomie ist Lebensfreude. Es ist eine schöne Arbeit, auch wenn sie oft anders dargestellt wird.“ Zudem hänge an der Gastronomie viel regionale Wertschöpfung, von der Metzgerei bis zum Eierlieferanten. Das werde schnell vergessen. Und wie wichtig Lokale für ein gutes Miteinander seien, sehe man am Wirtschaftssterben, das schon vor Corona viele Gemeinden gebeutelt habe.

Das Gastronomie-Netzwerk Leaders Club begrüßt die Erhöhung des Kurzarbeitergeldes und die Senkung der Mehrwertsteuer durch die Bundesregierung. In einer Pressemitteilung fordert Patrick Rüther, Vorstandsvorsitzender des Leaders Club in Deutschland, zeitnahe Maßnahmen. Das Netzwerk möchte außerdem mit der Aktion „Leere Stühle“ auf die schwierige Situation der Wirte bundesweit aufmerksam machen. Von 11 bis 13 Uhr werden heute, Freitag, Stühle vor Restaurants und Cafés in Rosenheim unbesetzt bleiben.

Heidi Geyer

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